Tilger und Dämpfer für das Turiner Olympia-Wahrzeichen
Der schräge, rote Bogen der Ponte MOI, für Turin und seine Winterolympiade das alles überragende Wahrzeichen, war für die Ingenieure eine Herausforderung, denn der Bogen erfüllt die Funktion eines Pylons, an dem eine schwingungsfreudige Fußgänger-Schrägseilbrücke hängt. Maurer Söhne München, Spezialist für Bauwerkschutzsysteme, löste das Problem: Neuartige magneto-rheologische Schwingungstilger werden die horizontalen Schwingungen auffangen, Hydraulik-Dämpfer am Brückenende die Torsions- und Horizontalschwingungen. Zudem lieferte das Münchner Unternehmen die Kalottenlager, auf denen der prägende rote Stahlbogen ruht.
Die knapp 4 m breite und 368 m lange Ponte MOI überbrückt das Turiner Bahngelände und verbindet die Eissporthalle mit dem olympischen Dorf. Der Grundriß der Stahlbrücke ist leicht gekrümmt, ca. 230 m sind als Schrägseilbrücke ausgebildet, davon überspannen 156 m die Bahngleise freitragend. Blickfang ist der "Pylon", gebaut nach Plänen des französischen Architekten Hugh Dutton in Form eines riesigen roten Stahlbogens – 69 m hoch und in Schräglage. Senkrecht aufgestellt wäre er 85 m hoch. 55 m beträgt der Abstand zwischen den Bogenauflagern. Diese Auflager wurden als sogenannte Kämpferlager rechtwinklig zur Bogenachse angelegt. Neben dem Eigengewicht des Bogens (460 t) und dem Brückengewicht (660 t) drückt die Spannung der Schrägseile zusätzlich in die Lager. Zudem müssen die Lager eine Verdrehung von 3 % aufnehmen. Diese Anforderungen erfüllen feste MSM-Kalottenlager mit Auflasten von je ca. 25000 kN. MSM, der von Maurer Söhne entwickelte Gleitwerkstoff, kam hier zum Einsatz,weil er erheblich höhere Pressungen aushält als herkömmliches PTFE.
Nahezu unberechenbare Schwingungen
Verglichen mit dem Thema Schwingungen waren die Kalottenlager allerdings nur eine Anfängerübung für die Ingenieure. Die Schwingungsexperten von Ove Arup (bekannt von der Millennium Bridge, London)wurden mit der Schwingungsberechnung beauftragt. Der Stahlbogen, die Stahlbrücke, die lediglich aus zwei Längsträgern sowie Querträgern im Abstand von ca. 3 m besteht, sowie die 32 bis zu 113 m langen Schrägseile sind mannigfachen Schwingungsanregungen ausgesetzt: Wind, Regen und – am schwersten zu kalkulieren – der Mensch.
Bei den Vorbemessungen zu den Vertikal-, Horizontal- und Torsionsschwingungen an der Ponte MOI wurden 20 Schwingungseigenformen im kritischen Bereich festgestellt. Kritisch sind Schwingungen, wenn ihre Frequenz im Bereich der Fußgängerschrittfrequenz liegt. Der Mensch ist dann in der Lage, das Bauwerk bewußt oder unbewußt in Resonanzschwingungen zu bringen, die ein komfortables Begehen unmöglich machen. Als Gegenmaßnahme wurden zwei neuartige semiaktive, sich selbst regulierende Horizontal-Schwingungstilger sowie zwei Hydraulikdämpfer eingebaut.
Selbstregulierende Schwingungstilger
Um die besonders kritischen horizontalen Schwingungen zu tilgen, werden quer zur Brücke etwa in Feldmitte zwei neuartige Schwingungstilger mit einer Masse von je 4 t und einer Amplitude von ± 200 mm eingebaut. Neu ist die elektronische Einstellung des Dämpfungsparameters, der sich über ein magneto-rheologisches System selbständig justiert. Entwickelt wurde die Technologie von Maurer Söhne im Rahmen des mit europäischen Mitteln geförderten SPACE-Projekts. Die Ponte MOI ist die erste Fußgängerbrücke, an der die selbstregelnden Tilger serienmäßig eingebaut werden. Die Dämpfungsbereiche der beiden Tilger sind unterschiedlich: 3 bis 3,4 kNs/m bzw. 4 bis 5 kNs/m. Zweite Besonderheit dieser Schwingungstilger ist, daß sie mit einer enorm großen Frequenzbreite vorbemessen sind und erst vor Ort auf das Verhalten der Brücke eingestellt werden. Damit wird das Problem umgangen, daß die Schwingungsfrequenz nicht genügend genau vorausberechnet werden kann. Die beiden nahezu baugleichen Tilger decken unterschiedliche Frequenzbereiche ab: Der erste kann einen Frequenzbereich von 0,55 bis 0,75 Hz bedienen und ist auf 0,65 Hz voreingestellt. Mit Hilfe von 10 austausch- bzw. entfernbaren Federn, je 5 auf jeder Seite der schwingenden Tilgermasse, kann die Frequenz auf 0,01 Hz genau eingestellt werden. Der zweite hat einen Bereich von 0,65 bis 0,95 Hz und ist auf 0,76 Hz voreingestellt.
Extrem enge Vorgaben für die Hydraulik-Dämpfer
An der Fuge von der Hauptbrücke zur angrenzenden Brücke werden zwei Hydraulik-Dämpfer in Brückenlängsrichtung eingebaut, um die aus Torsions- und Horizontalschwingungen entstehenden Bewegungen zu bedämpfen. DerVorteil dieser Dämpfer ist, daß sie nicht auf einen bestimmten Frequenzbereich eingestellt werden müssen, allerdings werden sie nur bei entsprechenden Wegen bzw. Geschwindigkeiten aktiviert. Sie funktionieren wie Autostoßdämpfer, müssen jedoch genau auf die Brückenparameter eingestellt werden und folgende Vorgaben erfüllen: Die maximale Kraft im Dämpfer beträgt 150 kN, der Dämpfungsfaktor 3,5 MNs/m. Während 30 s müssen die Dämpfer konstant eine Leistung von bis zu 3,2 kW erbringen, zeitlich unbegrenzt 1,1 kW. Dabei dürfen sich die Dämpfer nicht mehr als 2 mm verformen, das zulässige Spiel an den Befestigungselementen beträgt deshalb nur 0,02 mm. Bei langsamen Bewegungen dürfen sie zudem nur einen Widerstand von maximal 50 N aufbauen, ein extrem niedrigerWert. Die Überprüfung der Funktionstauglichkeit der Dämpfer erfolgt am Institut für Stahlbau der Universität der Bundeswehr in München.
Mit der Erfüllung all dieserVorgaben bewies sich Maurer Söhne erneut als Unternehmen, das Dank seiner technischen Kompetenz auch schwierige und komplexe Bedingungen bewältigt. Ausschlaggebend für den Auftraggeber, eine ARGE aus Falcone Stahlbau und Sermeca Fassadenbau, waren die technischen Sondervorschläge, um das schwer berechenbare Schwingungsverhalten der Brücke MOI zu beherrschen. Der Einbau der Dämpfer und Tilger erfolgt im März 2006.