Semiaktive Dämpfer reagieren auf verschiedene Lastfälle bei Wiens neuem Wahrzeichen
Wien hat ein neues Wahrzeichen – zumindest die eine Hälfte davon: Der Donau City Tower 1 ragt 220 m in die Höhe. Winde lassen den Tower ständig leicht schwingen, dazu muss im Wiener Becken auch mit Stürmen oder gar Erdbeben gerechnet werden. Ein 300-Tonnen-Massependel gleicht die Schwingungen aus. Das Besondere daran: Einzigartige semiaktive Dämpfer passen sich den auftretenden Lastfällen bzw. Pendelbewegungen laufend an und antworten mit angepasster Kraft. Eine Steuerungsleistung, die in dieser Dimension weltweit nur MAURER beherrscht.
Der jüngste Wiener Stadtteil "Donau City" wurde vom französischen Architekten Dominique Perrault geplant, der nun auch für das Wahrzeichen verantwortlich ist: die beiden Donau City Towers. Eine Seite des jetzt errichteten höheren Tower 1 ist "zerklüftet" – genau gegenüber soll der halbe Monolith sein etwas kleineres Gegenstück erhalten.
Mit seinen 59 Stockwerken und 220 m Höhe ist der DC Tower 1 dem Wind ausgesetzt und würde aufgrund des langgezogenen Grundrisses und der elastischen Stahlbetonkonstruktion an der Spitze bis zu 45 Zentimeter um die lange Achse schwanken. Zudem kann es im Wiener Becken auch Stürme und sogar Erdbeben geben.
Schon bei normalem Wind wären der Komfort und letztlich das Wohlbefinden der Bewohner gestört. Um die Schwingung zu dämpfen, erhielt der Tower zwischen dem 56. und dem obersten Stockwerk ein Massependel. Die 300-t-Pendelmasse besteht aus Stahlplatten und einem Wassertank, der bei Feueralarm auch genutzt werden kann. Die Masse hängt an mehreren Stahlseilen und wirkt als einfaches Transversalpendel. Es schwingt den Bauwerksbewegungen genau entgegen und kompensiert sie dadurch.
Soweit – so einfach: Doch 300 t Masse müssen auch kontrolliert und gesteuert werden. Deshalb wird die Pendelmasse
- seitlich, genau in die zu bedämpfende Schwingrichtung, geführt,
- semi-aktiv bedämpft und
- sicherheitshalber endgepuffert.
Herzstück: Semi-aktive Dämpfer
Das technische Herzstück versteckt sich unter der Pendelmasse. Zwei semiaktiv gesteuerte Hydraulikdämpfer verbinden die schwingende Masse mit dem Gebäude und reagieren angepasst an die drei Lastfälle "Normaler Wind", "Sturm" oder "Erdbeben". Basis dieser einzigartigen Steuerung sind Dämpfer mit einer magneto-rheologischen Flüssigkeit, deren Viskosität über die Stärke von Magnetfeldern veränderbar ist. Über Spulen und Stromimpulse kann so von außen die Dämpferantwort stufenlos von 3 kN bis 110 kN verändert werden – und zwar in Echtzeit innerhalb von 50 bis 100 msek.
Stromimpulse regeln Dämpferkraft
Ermittelt wird die richtige Dämpferkraft über Rechner, die laufend Daten von Messsensoren erhalten. Getestet wurde das System für den Tower in Wien auf einem Prüfstand der EMPA Dübendorf/Schweiz. "Die Herausforderung besteht zum einen darin, die gemessenen Daten richtig zu interpretieren", erläutert Projektleiter Dipl.-Ing. Peter Huber von MAURER. "Zum anderen muss die Kontrollelektronik die richtigen Steuersignale für die optimale Bedämpfung des Bauwerks geben. Im Bereich Gebäude sind wir sicher die einzigen weltweit, die diese semi-aktive Steuerung beherrschen." In Betrieb sind die adaptiven Massendämpfer von MAURER zudem an mehreren Brücken, z.B. zur Dämpfung der Schrägseile in Wladiwostok (Russki-Brücke) und Sutong (China) oder zur Beruhigung des kompletten Brückendecks in Wolgograd (Russland).
Für den Gebrauchslastzustand des Donau City Towers, z.B. häufig auftretenden Wind, ist die Flüssigkeit im Dämpfer sehr viskos bzw. dünnflüssig, d.h.: Das System ist sehr weich abgestimmt: Es fließt kein Strom, das Pendel reduziert kleinste Towerschwingungen auf wenige Millimeter. Wäre der Dämpfer zu hart eingestellt, könnte das Pendel sich nicht bewegen und wäre wirkungslos.
Die Pendellänge war im Design für eine Frequenz von 0,134 Hz bis 0,244 Hz ausgelegt. Die von MAURER gemessene reale Bauwerksfrequenz beträgt 0,189 Hz. Die semi-aktiven Hydraulikdämpfer können sich von 0,171 Hz bis 0,209 Hz stufenlos in Echtzeit anpassen und so reale Seilpendellängen von ca. 5,6 m bis 8,5 m simulieren. Somit müssen die Seillängen nicht mechanisch angepasst werden.
Wenn der Tower und damit auch das Pendel bei Starkwind und Gewittern stärker ausschlagen, müssen auch die Dämpfer stärker reagieren.
Für den schlimmsten angenommenen Lastfall "Erdbeben" oder "Jahrhundertsturm" kann sich das gedämpfte 300-t-Pendel bis zu +/-750 mm horizontal bewegen. Die maximal mögliche, ungebremste Amplitude des Pendels wurde auf Basis des Design-Erdbebens nach Eurocode 8 jedoch auf +/-2 m berechnet – sie muss also limitiert werden, um Beschädigungen am Tower zu vermeiden. "300 t rasende Masse würden jede Wand durchschlagen", verdeutlicht Huber. "Deshalb drehen die Dämpfer dann bei ca. 550 mm komplett zu."
Redundante Endanschläge
Sollten die Elektronik und der Batteriepuffer ausfallen, wurde für diesen ultimativen Sonderlastfall zudem ein redundantes Sicherheitssystem eingebaut: Ab einem Weg von +/-550 mm trifft die Pendelmasse auf hydraulische Federdämpfer. Diese sind technologisch verwandt mit den Endanschlägen im Aufzugbau. Die vier Anschläge werden um 200 mm zusammengedrückt und aktivieren dabei eine Antwortkraft von max 470 kN.
Laufendes Monitoring
Interessant für alle Beteiligten ist, ob die ausgeklügelte semi-aktive Dämpfertechnologie effizient wirkt. Da für die Regulierung der Dämpfer ohnehin alle notwendigen Daten erhoben werden (Bauwerksbeschleunigungen, -frequenzen, -amplituden und Kräfte in den Hydraulikdämpfern), fließen diese auch in ein Monitoring ein. Die Ergebnisse werden dann mit dem theoretisch bestmöglichen, optimalen physikalischen Wirkungsgrad verglichen.
Wenn die Dämpfer z.B. im Gebrauchslastfall zu geringe Wege machen würden, könnte man die Dämpfer weicher einstellen. "In den ersten Monaten lief alles nach Plan. Wir hatten allerdings bisher auch nur den Gebrauchslastfall mit schwachem Wind", berichtet Huber.
Schwerlastrollen halten 300 t in der Spur
Weiteres notwendiges Detail zur Kontrolle der Pendelbewegungen ist eine horizontale Führung. Unten entlang der Längskanten der Masse sind Schwerlastrollen angeschraubt. Sie rollen mit geringstmöglichem Reibwiderstand seitlich gegen Stahlträger und verhindern Querbewegungen der Masse. Denn jede Bewegung der Masse in eine andere als die zu bedämpfende Richtung würde den Wirkungsgrad des 300-t-Pendels reduzieren.
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7247 - Veröffentlicht am:
07.07.2015 - Geändert am:
19.05.2017