Gewebte Veränderung – Universitäts-Fassade als Spiegel der Forschung
Die Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) gilt als eine der weltbesten Universitäten, die in den letzten 50 Jahren gegründet wurden. Dieser Ruf lockt Top-Studenten aus der ganzen Welt in die Stadt auf den westlich von Lausanne gelegenen Campus. Mit der Konsequenz, dass die EPFL zu den am schnellsten wachsenden Universitäten mit entsprechend zunehmendem Raumbedarf zählt. Bei den erforderlichen Neu- und Umbauten setzt sie konsequent auf emblematische Gebäude, um im globalen Wettbewerb der Universitäten auch architektonisch Strahlkraft zu entfalten. Jüngster Beweis ist der von Dominique Perrault gestaltete Ausbau des bestehenden Instituts für Maschinenbau (ME), das mit dem erst 2008 gegründeten Zentrum für Neuroprothesen (CNP) zusammengelegt wird. Seine Einzigartigkeit verdankt der Pôle de bio-ingénierie einer dreidimensionalen Zickzack-Fassade aus 630 horizontal verschiebbaren Sonnenschutzelementen aus Metallgewebe der GKD – Gebr. Kufferath AG. Ihre bewegte Topografie reflektiert die Flexibilität und Dynamik, mit der sich die Hochschule permanent neu erfindet.
Die 1969 gegründete und seit 1978 ständig erweiterte EPFL vereint seit 2002 alle Fachbereiche auf dem 59 Hektar großen Areal in Ecublens. Mit dem Rolex Learning Center wurde 2010 der erste Meilenstein auf dem Weg zu einem zeit- und bedeutungsgemäßen Gesicht der Universität gesetzt. 2013 folgte der von Perrault gestaltete Umbau der ehemaligen Zentralbibliothek zum Verwaltungs- und Servicezentrum (BI), dessen leuchtend buntes Streifenkleid mit schwarz lackiertem Edelstahlgewebe gesäumt ist. Das SwissTech Convention Center setzte 2014 die Reihe der architektonischen Leuchtturmprojekte auf dem Campus fort. Auf halbem Weg zwischen dem Rolex Learning Center und dem SwissTech Convention Center schlug Perrault jetzt mit Renovierung und gleichzeitigem Ausbau des ehemaligen Instituts für Maschinenbau den Bogen in die Zukunft integrierter Forschungskonzepte. Hier werden sich fortan die Lehrstühle für Robotik und Orthopädie gemeinsam mit dem Zentrum für Neuroprothesen dem weiten Feld der Bioingenieurwissenschaften widmen. Im Zentrum ihrer Forschung stehen die Behandlung von Rückenmarksverletzungen, die Wiederherstellung von motorischen und sensorischen Funktionen nach Amputationen sowie die Steuerung von Robotern durch Gedanken. Die durch den gemeinsamen Arbeitsplatz intensivierte fächerübergreifende Forschung und Zusammenarbeit soll Grundlagenwissen mit angewandter Wissenschaft synergetisch verbinden.
Energetische Effizienz bewegend inszeniert
Auf 3.000 m² schaffen hochmoderne Büros, Seminarräume und Laboratorien die räumlichen Voraussetzungen für interdisziplinäre Forschung. Dabei galt es, den sich in energetischer Sicht erheblich unterscheidenden Nutzungsbereichen hochflexibel Rechnung zu tragen. Perrault beantwortete die damit verbundenen funktionalen Variablen mit einer außergewöhnlichen Inszenierung der viergeschossigen Fassade. Als Teil seiner urbanen Reorganisation des Campus unterstreicht sie die neue Dynamik des Zentrums. 630 einzelne Paneele, jedes 1.100 x 3.600 mm groß, formen wie Fallarmmarkisen ein das gesamte Gebäude umspannendes, vertikal wie horizontal verlaufendes Zickzackmuster. Die abwechselnd oben und unten ausgestellten Paneele bestehen aus naturfarben eloxiertem Aluminiumgewebe vom Typ Escale, das in einer stabilen Rahmenkonstruktion mit Hakenschrauben befestigt wurde. Jeweils zwei der in Dreiergruppen angeordneten Paneele sind motorisiert und fahren auf Schienen teleskopartig hinter das feststehende Element. Im geschlossenen Zustand gewährleisten die Paneele effizienten Sonnenschutz, blendfreie Arbeitsplätze und ungehinderte Blicke nach außen. Dennoch lässt die offene Gewebestruktur das Tageslicht in die Räume und erlaubt eine natürliche Belüftung. Der dadurch gesteigerte Aufenthaltskomfort fördert die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter und minimiert den Energiebedarf für Kunstlicht und Klimaanlage. Mit Blick auf die ganzheitliche Nachhaltigkeit des Gebäudes sind die Paneele raumweise – und damit flexibel auf die jeweilige Nutzung sowie jahreszeitlich angepasst – einstellbar. Durch Schutz vor unerwünschter Aufheizung durch Sonne im Sommer und Nutzung der Wärme des solaren Eintrags im Winter unterstützt das gewählte Gewebe ein energieeffizientes Klimamanagement im gesamten Gebäude.
Mediterrane Leichtigkeit vielschichtig interpretiert
Entscheidend für die Materialwahl war für Perrault aber auch die spezifische Ästhetik des Gewebes. Dessen 7 mm breite und 150 mm lange Spiralen reflektieren das Sonnenlicht besonders intensiv und verleihen den Paneelen so trotz ihrer massiven Materialqualität mediterrane Leichtigkeit. Diese Wirkung macht sie zum idealen Ausdrucksmittel der gestalterischen Intention Perraults, Gebäude ohne sichtbare Mauern zu erschaffen. Sie verwandeln allein durch ihre subtile Präsenz einen Ort, ohne ihn zu dominieren und stehen dabei im permanenten Austausch mit ihm. Dadurch ist das Gebäude ebenso Kulisse wie Hauptdarsteller – dieser Effekt ist ein Grund, weshalb Perrault diesen Gewebetyp schon bei vielen seiner Erfolgsprojekte eingesetzt hat. Für das Erdgeschoss des Pôle de bio-ingénierie wählte er den Typ Escale 7 x 2, dessen 2 mm dicker Flachdraht verstärkten Schutz vor Vandalismus bietet. Bei den drei oberen Geschossen vertraut Perrault auf Escale 7 x 1, jenen Gewebetyp, der auch in dem auf gleicher Sichtachse liegenden BI-Gebäude zum Einsatz kam. Der Eingangsbereich in der Mitte des langgestreckten Baukörpers ist dem Rolex Learning Center zugewandt. Er bricht die bidirektionale Zickzackstruktur durch einen vergrößerten Ausstellwinkel der Paneele in drei vertikalen Reihen optisch auf. Dadurch wirken die in diesem Bereich feststehenden Dreiergruppenelemente wie von Riesenhand hochgeschoben. Ein Eindruck, der durch die untersten drei unterschiedlich statisch angewinkelten Paneelgruppen noch verstärkt wird. So entsteht ein weit auskragendes dreiteiliges Vordach, dessen schwebende Anmutung den Eingang markiert und den luftigen Gesamteindruck der Fassade unterstreicht.
Dynamische Veränderung statisch austariert
Aus statischen Gründen wurde für den Eingangsbereich das Escalegewebe in Edelstahl gewählt. Filigrane seitliche Streben und dünne, runde Stützen, auf denen die Rahmen einseitig aufliegen, tragen die enormen Kräfte am Vordach ab. Um die für die Region typische Schneelast aufzunehmen, wurden an der Auskragung zusätzliche Mittenbefestigungen in die Paneele eingebracht und mit Spezialklammern am Gewebe befestigt. Die Komplexität der Fassadengeometrie und das Format der Einzelelemente mit partieller Motorisierung stellen hohe Anforderungen an das Tragwerk. Perrault verzichtete jedoch bewusst auf rückwärtige Verankerungen der Paneele. Sein Entwurf sieht eine Rahmenkonstruktion vor, die die gesamten Kräfte von Rahmen und Gewebe aufnimmt. Aufgrund der Lage des Bauwerks im Gebirge mit dem Genfer See in unmittelbarer Nähe galt es, bei den statischen Berechnungen auch erhöhte Wind- und Schneelasten sowie Totalvereisung zu berücksichtigen. Zur Verifizierung der Statikplanung setzte Perrault drei Prototypen der Elemente ein Jahr lang den realen Bedingungen aus. Die fertige Fassade erinnert durch die optisch reduzierte Befestigung der Paneele an ein fragiles Kartenhaus. Dieser experimentelle Charakter steht im Kontrast zur technisch ausgeklügelten Anmutung der metallischen Hülle. Ihr Zusammenspiel zeugt von der Aufbruchstimmung an der Schnittstelle von Life Sciences und Ingenieurwesen, dem Pôle de bio-ingénierie.
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7274 - Veröffentlicht am:
09.10.2015 - Geändert am:
28.01.2016