Textilbetonbrücke Albstadt-Lautlingen
Die längste Textilbetonbrücke der Welt steht in Albstadt-Lautlingen in Baden-Württemberg. Planung und Bau hat die Groz-Beckert KG in enger Abstimmung mit der Stadtverwaltung weitestgehend eigenverantwortlich übernommen. Am 5. November 2010 wurde die Fußgänger- und Radfahrerbrücke offiziell an die Stadt Albstadt übergeben.
Nach nur 30 Jahren Nutzungsdauer war die Stahlbetonbrücke in Albstadt-Lautlingen mit Beginn des neuen Jahrtausends vermehrt zum Sicherheitsrisiko geworden. Unschöne Abplatzungen und gefährliche Risse im Beton – die aggressiven Umwelteinflüsse und Korrosion hatten deutliche Spuren hinterlassen. Um Fußgängern und Radfahrern in Zukunft ein sicheres Passieren der Bundesstraße 463 zwischen dem Stauffenberg-Schloss und dem Schulgelände zu gewährleisten, musste eine neue Lösung gefunden werden. Die Anforderungen der Stadt als Bauherr waren dabei klar definiert: Der Brückenbau soll einerseits einen schlanken Überbau erhalten, andererseits erhöhte Anforderungen an die Frost-/Tausalzbeständigkeit erfüllen und eine erhöhte Lebensdauer von 80 Jahren gewährleisten. Auf dieser Basis entschied sich die Stadt Albstadt für eine neue Brücke mit textiler Bewehrung – mit Groz-Beckert als übergreifendem Projektpartner und dem Vorteil der absoluten Korrosionsbeständigkeit von Textilien.
Umsetzung im Teamwork
Der Beschluss zum Abriss der alten Stahlbetonbrücke durch den Stadtrat wurde im Juli 2006 gefasst. Infolgedessen hat Groz-Beckert unverzüglich die RWTH Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen mit einer Machbarkeitsstudie für eine Textilbetonbrücke beauftragt. Die Studie lag im März 2007 vor und bescheinigte durchweg positive Prognosen hinsichtlich der zu erwartenden Materialeigenschaften und der Nutzungsdauer. Auch die Stadt Albstadt trieb das Projekt weiterhin aktiv voran. Die nicht mehr sanierungsfähige alte Brücke konnte folglich schon im Folgemonat abgetragen werden.
Im März 2008 wurde der nächste wichtige Meilenstein gesetzt. Gemeinsam unterzeichneten die Stadt Albstadt und Groz-Beckert einen Vertrag zur Projektumsetzung. Dieser regelt, dass auf die Stadt Albstadt nur jene Kosten entfallen, die auch bei einer herkömmlichen Bauweise mit Stahlbeton entstanden wären: 600000 €. Die Mehrkosten von über 1 Million € trägt Groz-Beckert. Offizieller Baubeginn für den Unterbau und die nachfolgenden Arbeiten war im November 2009. Davor mussten jedoch noch zahlreiche Freigabeprozesse und Einzelzulassungen durchlaufen werden, denn der Baustoff Textilbeton ist aufgrund seines Innovationsgrads noch nicht normativ geregelt. Dennoch verliefen die Bauarbeiten großteils planmäßig. Im Mai 2010 konnten die Textilbetonfertigteile montiert werden – und am 27. Mai 2010 erfolgte der sogenannte "Brückenschlag". Am 5. November 2010 übergab Groz-Beckert die Textilbetonbrücke, die im September bereits für den Schuljahresbeginn freigegeben wurde, offiziell an die Stadt Albstadt.
Überzeugende "innere Werte" durch textile Gelege
Filigrane Bauweise, architektonische Glanzlichter – die Textilbetonbrücke Albstadt-Lautlingen beeindruckt durch ihre einzigartige Optik. Herzstück sind jedoch die textilen Gelege innerhalb der Brückenkonstruktion. Endlos-Rovings aus alkali-resistentem (AR)-Glas wurden zu einem Gelege, d. h. einer netzartigen Struktur, mit Achsabständen von maximal 15 mm zusammengefügt. Durch ein Tränkungsverfahren, bei dem die Rovings mit Epoxidharz beschichtet werden, entstand eine robuste Bewehrungsstruktur. Diese bleibt auch während des Betoniervorgangs formstabil. Zudem konnten nach dem Tränkungsprozess geformte Bewehrungselemente hergestellt werden, die für die Stege und Kappen notwendig sind. Darüber hinaus ermöglicht das Epoxidharz, dass nahezu alle Filamente eines Rovings an der Lastabtragung beteiligt sind und damit die Filament-Zugfestigkeit erreicht wird. Die Rovings mit einem Durchmesser von ca. 2 mm erzielen somit Zugspannungen von ca. 1000 N/mm².
Für die Textilbetonbrücke in Albstadt-Lautlingen, bei der die Betonoberfläche direkt begehbar ist, wurde eine praxistaugliche Feinbetonrezeptur entwickelt. Sie erfüllt gleichermaßen hohe Anforderungen an Frostbeständigkeit, Abriebfestigkeit, Oberflächenqualität und Verarbeitbarkeit. Aufgrund der engmaschigen textilen Bewehrung – mit einer Öffnungsweite von 15 mm – wurde der Größtkorndurchmesser auf 4 mm begrenzt, sodass eine Siebwirkung weitestgehend ausgeschlossen werden konnte. Durch den verwendeten Feinbeton war es zudem möglich, eine scharfkantige Querschnittsgeometrie mit einer homogenen Oberfläche herzustellen.
Das große Ganze: einhundert Meter lang
Mit einer Länge von ca. 100 m ist die Textilbetonbrücke Albstadt-Lautlingen aktuell mit Abstand die größte ihrer Art – weltweit. Sie besteht aus sechs Fertigteilen, die eine maximale Länge von 17,2 m und eine Überbauhöhe von nur 43,5 cm aufweisen. Als Überbauquerschnitt dient ein in Längsrichtung vorgespannter, siebenstegiger Plattenbalken. Durch die Kombination von textilem Bewehrungsmaterial und Monolitzen als Vorspannung konnte eine extreme Schlankheit erreicht werden. Das Verhältnis Höhe : Länge beträgt 1 : 35. Aufgrund des gegliederten Querschnitts wurden geformte Bewehrungselemente für die Stege und Kappen verwendet. Die textile Stegbewehrung wurde planmäßig zur Abtragung der Querkräfte herangezogen. Wegen der minimalen Betondeckung von 1,5 cm ließen sich die Stege an der dünnsten Stelle mit einer Breite von nur 12 cm ausführen. Der Kragarm an den Brückenrändern verjüngte sich auf nur 9 cm.
Die Brücke wird direkt begangen, d. h. ohne zusätzlichen Belag. Optisch ist sie in vier Mittelfelder und zwei Endfelder unterteilt. Die Entwässerung erfolgt durch definierte Abläufe in den Brückenfugen. Das Brückengeländer besteht aus verzinktem Stahl mit Edelstahl-Netzbespannung und integriert im Handlauf ein LED-Band zur Beleuchtung der Brückenoberseite. Mittels Strahlern kann die Brücke von unten beleuchtet werden. Ein Wechsel der Linsen ist möglich, sodass, etwa im Rahmen von Veranstaltungen, unterschiedlichste Farb- und Lichtstimmungen erzeugt werden können.
Mehrwert: eine Verbindung in die Zukunft
Die Technologie der Textilbetonbrücke Albstadt-Lautlingen ist kein Selbstzweck. Durch textile Innovation bietet sie zahlreiche Vorteile für die Praxis. Im Zentrum stehen dabei Gewichts- und Materialreduktion sowie die zu erwartende längere Nutzungsdauer. Obwohl bisher kaum Vergleichsobjekte hinsichtlich einer Textilbetonbrücke bestehen, stimmen die Untersuchungen an den Instituten für Massivbau und Bauforschung an der RWTH Aachen durchweg optimistisch. Sie haben nachgewiesen, dass die textilen Bauteile im Grenzzustand der Tragfähigkeit ausreichend sind. Auch wurde festgestellt, dass der Verbundwerkstoff Textilbeton in puncto Gebrauchsfähigkeit deutliche Vorteile gegenüber konventionellen Materialien aufweist. Denn Fakt ist – und das führt wieder zum Ausgangspunkt des gesamten Projekts: Textilien sind immer rostfrei. Rundum überzeugt von den Eigenschaften der textilen Bewehrung, übernimmt Groz-Beckert für die Textilbetonbrücke deshalb eine erweiterte Gewährleistung von neun Jahren. Sollte die Brücke in fünfzehn Jahren nicht mehr nutzbar sein, wird das Unternehmen zudem die Komplettsanierung vollständig finanzieren. Das zeugt von großem Vertrauen – mit Brief und Siegel. Darüber hinaus war die schlanke und filigrane Bauweise erst durch die Konstruktion mit textilbewehrtem Beton möglich. Während eine vergleichbare Stahlbetonbrücke ein Gewicht von 400 t aufweist, wiegt die Textilbetonbrücke Albstadt-Lautlingen nur rund die Hälfte.
Nachhaltigkeit als positiver Effekt
In Bezug auf die Nachhaltigkeit, einem Thema, dem sich Groz-Beckert seit jeher verpflichtet fühlt, sorgt die Textilbetonbrücke Albstadt-Lautlingen ebenfalls für Vorteile. Durch die längere Nutzungsdauer und den reduzierten Materialeinsatz ist eine gegenüber Stahlbetonbrücken wesentlich bessere Ökobilanz zu erwarten. Auf Wunsch von Groz-Beckert werden hierzu derzeit seitens der RWTH Aachen fundierte Studien durchgeführt, um absolute Transparenz zu schaffen.
Außenwirkung: Leuchtturm-Projekt für die ganze Region
Mit der Textilbetonbrücke möchte Groz-Beckert in einem herausragenden Projekt unter Beweis stellen, wozu Textiltechnik heute fähig ist. Generell gewinnen technische Textilien für Groz-Beckert und seine Kunden und Partner zunehmend an Bedeutung. Das Spektrum reicht von Anwendungen in der Medizintechnik, in Automobilen und Flugzeugen bis hin zu Architektur und Bautextilien. Genau hier wird mit der Textilbetonbrücke ein greif- und erlebbarer Beleg der Möglichkeiten geschaffen. Doch auch für die Stadt Albstadt und insbesondere den Stadtteil Lautlingen eröffnet das Bauprojekt neue Impulse für die Außenwirkung. Die Stadt Albstadt als Bauherr, Groz-Beckert als Generalübernehmer und zahlreiche Baubeteiligte haben damit ein wahres Leuchtturm-Projekt geschaffen – eine langfristige und dauerhafte Verbindung in die Zukunft. Von dem sicheren Übergang für Fußgänger und Radfahrer und der guten Ökobilanz durch längere Nutzungsdauer und Materialersparnis profitieren alle. Von der verlängerten Gewährleistung, der optimalen Kostensituation und der erhöhten Attraktivität profitiert die Stadt Albstadt. Für Groz-Beckert ist die neue Brücke eine eindrucksvolle Demonstration einer innovativen Technologie.
Bautafel Fußgänger- und Radfahrerbrücke Albstadt-Lautlingen
Bauherr: | Stadt Albstadt |
Generalübernehmer: | Groz-Beckert KG |
Architekt: | Hartwig N. Schneider |
Tragwerksplanung: | Hegger + Partner Ingenieure GmbH & Co. KG Aachen |
Generalunternehmer: | Sebastian Wochner GmbH & Co. KG |
Baubeginn: | November 2009 |
Übergabe: | November 2010 |
Technologie: |
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30.04.2012 - Geändert am:
03.03.2020