Neubau Hochwasserschutzanlage Niederhafen, Hamburg
Hamburg erhöht z. Zt. im Rahmen eines umfangreichen Bauprogramms die öffentlichen Hochwasserschutzanlagen, um die Hochwassersicherheit zu verbessern und das Risiko schwerer Sturmflutschäden für die binnendeichs wohnende und arbeitende Bevölkerung sowie für die dort befindlichen Sachgüter zu vermindern.
Die Hochwasserschutzanlage Niederhafen befindet sich in exponierter Lage Hamburgs und ist eine der wichtigsten Hafenpromenaden der Stadt von überregionaler touristischer Bedeutung. Die Promenade verbindet die St. Pauli Landungsbrücken und die historischen Hafenbauten der Speicherstadt. Die Anlage liegt am nördlichen Hafenrand in unmittelbarer Sichtachse der entstehenden Elbphilharmonie. An den Neubau des Hochwasserschutzes sind daher gleichzeitig hohe städtebauliche Anforderungen zu stellen.
Bestandsbauwerk
Die heutige Uferlinie entstand in der Zeit von 1964 bis 1968 im Rahmen der grundlegenden Erneuerung und Erhöhung der gesamten Hochwasserschutzanlagen Hamburgs nach der Sturmflut vom Februar 1962. Zur Verbesserung des Schutzes der Hamburger Innenstadt wurde die südliche Neustadt gegenüber dem Niederhafen durch eine bis auf NN +7,00 m reichende neue Hochwasserschutzanlage abgeschirmt.
Aus städtebaulichen Gründen erhielt die Anlage eine hoch liegende obere Platte für eine Uferpromenade. In Straßenebene stehen im Bauwerk Parkplätze zur Verfügung. Im Jahr 1977 wurde die Anlage für den Hochwasserschutz mit einem 0,20 m hohen Stahlblech ergänzt. Die Hochwasserschutzanlage ist eine Stahlbetonkonstruktion mit Tiefgründung. Der Stahlbetonüberbau ist landseitig auf Betonpfählen und wasserseitig auf einer Stahlspundwand gelagert. Die horizontalen Lasten auf das Bauwerk aus Wasser- und Erddruck werden durch geneigte, gerammte Mörtelverpresspfähle (MV-Pfähle) aufgenommen. Die historische Uferwand von 1891 ist in die Gründung integriert. Ergänzt wird die HWS - Anlage durch eine Stahlbetondecke für die Promenade auf NN +7,00 m.
Geplanter Ausbau
Der Entwurf umfasst den vollständigen Neubau der Hochwasserschutzanlage und den damit verbundenen Rückbau der vorhandenen Anlage. Im Jahre 2006 wurde dieses Projekt innerhalb der Architekturolympiade ausgelobt: "Im Ergebnis soll an exponierter Lage innerhalb Hamburgs zusätzlich zum Hochwasserschutz eine attraktive Promenade entwickelt werden, die den vielfältigen Nutzungen gerecht wird, als hochwertige Wegeverbindung fungiert, zahlreiche Anschlusspunkte generiert und zugleich stadtbildprägend ist." Parallel wurde das Ingenieurbüro Grassl mit der Objekt- und Tragwerksplanung für die Hochwasserschutzanlage beauftragt.
Bauwerksgestaltung
Als Siegerentwurf des Projektes Hochwasserschutz und Promenade Niederhafen in der Architekturolympiade wurde der Entwurf des Büros Zaha Hadid Architects prämiert. Das Konzept des Architekturbüros ist gestalterische Grundlage der Planung: "Die Uferpromenade zwischen Landungsbrücken und Speicherstadt ist mit ihren Ausblicken auf die Elbe und den Hafen einer der spannendsten Orte Hamburgs. In der derzeitigen Situation ist sie jedoch mit der direkten Umgebung kaum verknüpft und damit das Potential des Ortes bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Öffnung der Promenade zum städtischen Umfeld und zum Wasser hin ist daher der zentrale Ansatzpunkt.
Der sich aus den Anforderungen des Hochwasserschutzes und der Uferpromenade ergebende hoch liegende, lineare Baukörper wird an strategischen Punkten ausgehöhlt: Wo immer Straßen oder Wege aus der Umgebung auf die Promenade treffen, bewirken sie kegelartige Treppen in der Anlage auf der Straßenseite. Diese gleichen kleinen Amphitheatern, so dass sie von jeweils einem zentralen Punkt in alle Richtungen Zugang zur Promenade ermöglichen. Gleichzeitig ermöglichen sie den Passanten auf der Straßenebene Sicht auf die Flaneure auf der Promenade und die Masten und Aufbauten der dahinterliegenden Schiffe.
Im Wechsel mit den Zugängen von der Stadt werden ähnliche Einschnitte mit Treppen auf der Elbseite ausgeführt. Dieses Wechselspiel bewirkt für die Promenade einen spannungsreichen, sich immer wieder einschnürenden und aufweitenden, oszillierenden Verlauf. Landseitig werden einige Gebäude in die Promenade integriert (z.B. neues Restaurant), deren Erdgeschoss von der Straßenebene erschlossen wird."
In der Anlage entstehen als Nutzung des zwangsläufig entstehenden Hohlraums eine Parkgarage und straßenseitig zusätzlich teilweise Räume für gewerbliche Nutzungen, die ebenfalls von der Promenade überdeckt werden. Diese Räume sind baulich von der Garage getrennt. Auf Grundlage des Gestaltungskonzeptes erhält das Bauwerk wasser- und landseitig Treppen und Rampen. Die Lage der landseitigen Treppen ist abgestimmt auf Wegebeziehungen zum nördlich angrenzenden Stadtteil. Sichtachsen der Straßen aus dem Stadtteil bewirken im Hochwasserschutzbauwerk hierfür kegelartige Einschnitte.
Ähnliche Treppen sind versetzt auf der Wasserseite vorgesehen. Die Stufen und Terrassen führen näher an das Wasser, auch Sitzen mit Blick in den Hafen ist so außerhalb des Besucherstroms auf der Promenade möglich. Die Treppenpodeste enden auf etwa NN +5,40 m, damit oberhalb statistischer Sommerhochwasser. Der Wechsel von land- und wasserseitigen Treppen bewirkt in der Aufsicht auf das Bauwerk für die Promenade einen sich immer wieder einschnürenden und aufweitenden Verlauf. Die angestrebte Mindestbreite der Promenade von ca. 10 m wird aber auf gesamter Länge erreicht. Als land- und wasserseitige Wandverkleidung und Promenadenbelag ist ein dunkler Naturstein (Basalt) vorgesehen. Die Stufen werden im Kontrast dazu aus hellem Betonstein erstellt.
Konstruktion des Neubaus
Bei einem Neubau oder wesentlicher Verstärkung einer Hochwasserschutzanlage im Zuge des Hamburger Bauprogramms ist die Möglichkeit einer zukünftig weiteren Erhöhung um 0,80 m – sogenannte Ausbaureserve – zu berücksichtigen (zweistufiger Ausbau). In der Maßnahme Hochwasserschutz Niederhafen wird diese Ausbaureserve bereits jetzt hergestellt (einstufiger Ausbau). Dies stellt unter den besonderen Bedingungen des Standortes und der Planung sowohl die gestalterisch beste als auch die wirtschaftlichste Lösung dar. Die Ausbauhöhen betragen im östlichen Abschnitt der neuen Anlage NN +8,60 m und im westlichen Abschnitt NN +8,90 m.
Die Solltiefe der Hafensohle ist für den gesamten Planungsabschnitt mit NN -5,00 m vorgesehen. Zuzüglich einer notwendigen Ausführungstoleranz für die Baggerarbeiten, ergibt sich eine Berechnungstiefe von NN -6,00 m. Die vorhandene Hochwasserschutzanlage einschließlich Promenade und Parkdeck wird bis auf die Gründung abgebrochen. Die neue Hochwasserschutzanlage wird wasserseitig verbreitert. Das Vorbaumaß beträgt zwischen 4,0 m und 7,5 m.
Multifunktionale Nutzung
Der Neubau gliedert sich in den Stahlbetonüberbau und die Gründung. Der Überbau umfasst die aufgehende Hochwasserschutzwand und schließt mit einer Stahlbetondecke eine Parkgarage und straßenseitig zusätzlich gewerbliche Räumlichkeiten ein. Die Stahlbetondecke wird als Promenade genutzt. Über die Bauwerkslänge fallen zu beiden Seiten versetzt Treppen ab, die in den Überbau bis in die Parkgarage einschneiden. Die Promenadenplatte besteht im Bereich der Garage aus einem Plattenbalkentragwerk. Die Balken verlaufen quer zur Ausrichtung der HWS-Anlage und binden in die Begrenzungswände der Garage bzw. die Platte der Treppenkegel ein. Bei größeren Stützweiten sind zusätzlich Längsträger und Rundstützen vorgesehen. Im Bereich der Treppenkegel sind keine Balken geplant. Die Tragkonstruktion besteht hier aus einer 50 cm dicken, entsprechend der Treppenneigung geneigten, Stahlbetonplatte. Hafenbautechnische Ausrüstungen mit Steigeleitern und Schutenhaltern werden in regelmäßigen Abständen angeordnet. Die Anlage wird in unabhängig voneinander tragende Blöcke von ca. 20 m Länge (aus WU-Beton) gegliedert.
Die tragfähigen Baugrundschichten stehen erst in größerer Tiefe an, dies erfordert eine Tiefgründung. Wasserseitig wird dazu eine Stahlspundwand eingebracht. Dahinter werden Lot- und Schrägpfähle angeordnet. Landseitig wird in Teilbereichen eine weitere Spundwand als Sickerschürze angeordnet.
Zum Anschluss der Gründungspfähle wurde eine massive Sohlplatte gewählt. Die Dicke der Platte beträgt ca. 1,0 m. Die Unterkante liegt auf NN +2,30 m. Der heute vorhandene Hohlraum unter dem Überbau und auch der Bereich des neuen Vorbaus in die Elbe wird verfüllt. Die in den sechziger Jahren mit der vorhandenen Hochwasserschutzanlage überbaute Fläche ist als Kampfmittelverdachtsfläche eingestuft. Die überbaute Fläche kann erst während der Baudurchführung untersucht und baubegleitend frei gegeben werden. Da vor dem Abbruch der vorhandenen Anlage teilweise bereits Schrägpfähle in diesen Flächen hergestellt werden müssen, sind diese erschütterungsfrei und mit entsprechenden Vorgaben der Sondierung einzubringen. Es wurden daher Mikropfähle gewählt.
Die Herstellung der Hochwasserschutzanlage ist in 2 Bauabschnitten vorgesehen. Hierdurch werden die Einschränkungen örtlich begrenzt. Mit dem Bau des östlichen 1. Bauabschnitts wurde im Frühjahr 2012 begonnen. Beim Abbruch der vorh. Anlage und dem Neubau ist der Hochwasserschutz auch während der Bauarbeiten aufrecht zu erhalten. Dies erfordert im Winterhalbjahr eine Schutzhöhe von NN +7,20 m und im Sommerhalbjahr von NN +5,50 m.
Autoren: Dipl.-Ing. Werner Hocke, Dipl.-Ing. Martin Grassl
Referenzen
Bauwerkskategorien
- Über diese
Datenseite - Product-ID
6250 - Veröffentlicht am:
30.04.2013 - Geändert am:
18.08.2014