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Holzgitterträger für den neuen Swatch-Hauptsitz

Das neue Headquarter von Swatch, das jetzt im schweizerischen Biel eröffnet wurde, verspricht, eine werbewirksame Landmarke mit außergewöhnlicher Strahlkraft zu werden. Ein aufsehenerregender Entwurf des japanischen Architekten Shigeru Ban verbindet die Gebäude der Marken Omega und Swatch nicht nur via die Cité du Temps, sondern auch mit einem spektakulären Freiformtragwerk aus einer gigantischen Holzgitterschale. Diese 240 m lange, geschwungene Holzkonstruktion ist bereits das vierte Projekt, das in Zusammenarbeit des Schweizer Holzbauspezialisten Blumer- Lehmann AG mit dem weltberühmten Architekten entstanden ist.

Seit langem wurde im Herzen von Biel – der Welthauptstadt der Uhrmacherei – an einem neuen Hauptsitz der Swatch AG, einem Omega Produktionsgebäude sowie dem Museumsbau Cité du Temps geplant. Den dafür 2010 ausgelobten Architekturwettbewerb konnte der japanische Architekt Shigeru Ban für sich entscheiden. Mit seinem Entwurf gelang Shigeru Ban der gestalterische Spagat, den beiden sehr verschiedenen Marken Omega und Swatch mit seinen Neubauten ein architektonisches Gesicht zu geben und die denkmalgeschützten Industriebauten aus der Frühzeit der Industrialisierung zu integrieren.

Unternehmenskultur in Holz umgesetzt

Shigeru Ban entwarf die drei Gebäude in unterschiedlichen Holzbautechniken. Angesichts der ökologischen Nachhaltigkeitsziele der Bauherrschaft und inspiriert von der renommierten Bieler Fachhochschule für Architektur und Holzbau erschien dem Architekten „der einzige nachwachsende Baustoff der Welt“ als logische Konsequenz. Er wollte mit seinen Holzbauten der Stadt neue Wahrzeichen geben und die unterschiedlichen Konzepte der beiden Marken in ihren Gebäudeformen zum Ausdruck bringen. In dem ungewöhnlichen Swatch-Neubau, der sich unmittelbar neben dem ersten Swatch Drive- Thru-Store befindet, beherbergt die Uhrenmarke die gesamte Verwaltung bis hin zum Lagerraum.

Seine eindrucksvolle organische Form windet sich am Fluss entlang durch die Landschaft und überspannt die neue Nicolas G. Hayek Straße, um schließlich auf dem Dach der neuen Cité du Temps anzudocken. Das langgezogene Gebäude wird von einem riesigen gitterförmigen Tragwerk aus Holz bedacht, das mit einer Länge von 240 m, einer Maximalspannweite von 35 m und einer Höhe von 27 m gewaltige Ausmaße hat. Überspannt wird die Tragstruktur von einer vielgestaltigen Hülle aus verschiedenen Fassadenelementen: Darunter sind geschlossene und gedämmte Elemente, transparente Glaselemente, Sonnenschutzelemente mit Sonnenschutzglas, Photovoltaik-Elemente, Elemente mit Luftkissen aus ETFE-Folie und optische bzw. akustisch wirksame Inlets aus Schweizer Kreuzen sowie einige großformatige Balkonöffnungen in der Fassade.

Parametrische Planung für eine präzise Produktion

Für die Holzbauer von Blumer Lehmann ist diese Konstruktion mit einer Fläche von 11.000 m² die bisher größte Gitterschale, die in der Firmengeschichte realisiert wurde. „Die Form und die einzelnen Träger sind riesig und die Anforderungen an die Genauigkeit waren sehr hoch. Doch das ist im Holzbau alles machbar,“ so Felix Holenstein, Projektleiter von Blumer Lehmann für das Swatch-Projekt. „Eine Herausforderung brachte jedoch die Entscheidung mit sich, die haustechnischen Leitungsführungen in die Tragwerksebene zu legen.“

Zuvor war die Form in einer dreijährigen Planungsphase auf ihre Machbarkeit geprüft und die Geometrie der Träger definiert worden. Keines der rund 4.600 Trägerelemente der gitterförmigen Tragstruktur ist wie ein anderes, alle sind Unikate, es gibt keine Wiederholung. Zusammen mit den Holzbauingenieuren der SJB Kempter Fitze AG und anderen Fachingenieuren sowie den Architekten wurden die Grundlagen ermittelt, auf deren Basis ein detailliertes Koordinationsmodell erstellt werden konnte. „Das war in diesem Projekt schon Teil der Planung vor Vergabe und Ausschreibung: einen sehr großen Detaillierungsgrad zu schaffen, auf dem die Ausführenden dann aufbauen konnten,“ erklärt Fabian Scheurer von Design-to-Production, der als digitaler Berater schon in der Planungsphase involviert war. „Unsere Aufgabe war die Übersetzung von Handskizzen und Plänen in ein 3D-Modell mit 2.800 Fassadenelementen, an dem die Konzepte überprüft und abgestimmt werden konnten.“

Als dann 2015 nach der Vergabe die Entscheidung fiel, die Haustechnik mit allen Leitungen für Elektro, Klima und die Sprinkleranlage in die Tragstruktur zu integrieren, musste die Detaillierung noch einmal überarbeitet werden. Das bedeutete zusätzliche Abstimmungsrunden mit den Holzbauingenieuren und Fachplanern, um alle Durchdringungen bis zum letzten Bohrloch einzumessen und zu überprüfen. Die wichtigsten Partner für Blumer Lehmann bei diesen Planungsarbeiten waren das Ingenieurbüro SJB Kempter Fitze und die Planer von Design-to-Production. Mit beiden verbindet Blumer Lehmann eine langjährige Zusammenarbeit, die mit ihrem sehr offenen und lösungsorientierten Miteinander den Planungsprozess positiv beeinflusst hat.

Nach erfolgter Detaillierung konnten die 2D-Pläne für die 3D-Modellierung parametrisiert werden. Basierend auf diesem 3D-Modell wurden drei verschiedene Rohlingstypen aus Brettschichtholz definiert: „gerade“, „einsinnig gekrümmte“ und „zweisinnig gekrümmte“ Träger. Wie die geraden Träger eignen sich auch einsinnig gekrümmte Träger für schwach gekrümmte und leicht verdrehte Bauteile. Aufgrund der Gebäudeform kamen jedoch mehrheitlich zweisinnig gekrümmte Träger zum Einsatz, die aus Rohmaterial gefertigt wurden, das in zwei Richtungen gebogen und verdreht zu Brettschichtholz verleimt ist. Durch die Parametrisierung konnten auch die über 16.000 Stahlteile und 140.000 Verbindungsmittel auf einige wenige Typen heruntergerechnet werden.

Aufwendige Montage in 16 m Höhe

Um den Montagetermin einzuhalten, wurden die Trägerelemente auf fünf verschiedenen Produktionsanlagen von Blumer Lehmann gefertigt. Die Anlagen wurden teilweise vierschichtig betrieben. Welche Bauteile auf welcher Anlage produziert wurden, musste frühzeitig festgelegt werden, um das richtige Rohmaterial und die Produktionsdaten passend für die jeweiligen Maschinen verfügbar zu halten. Die unterschiedlichen Krümmungsradien der bis zu 13 m langen Rohlinge erschwerten ihre Lagerung, die deshalb ebenfalls mit großer Genauigkeit geplant und vorbereitet werden musste. Für die gesamte Swatch Tragstruktur wurden 6.500 Schweizer Fichten benötigt, alleine für das Swatch Gebäude wurden insgesamt rund 2.000 m³ Holz verarbeitet.

Eine weitere Herausforderung war die Planung der Montage. Nachdem entschieden war, wie man die ineinandergreifenden Teile Stoß auf Stoß montieren kann, wurde die Reihenfolge für die Montage festgelegt. Das betraf auch die Produktion der Trägerelemente, denn sie mussten exakt in dieser Reihenfolge produziert und auf die Baustelle gebracht werden. „Die größte Herausforderung war es, die richtigen Teile zur richtigen Zeit auf der Baustelle zu haben,“ erinnert sich Felix Holenstein. „Das wäre ohne eine dreidimensionale Planung an einem 3D-Modell gar nicht möglich gewesen.“

Bevor die Teile auf der Baustelle montiert werden konnten, wurde von Blumer Lehmann ein Leergerüst erstellt und die Auflagerpunkte exakt definiert. Die Messdaten dafür konnten aus dem 3D-Modell gewonnen werden. Die Hilfskonstruktion diente dazu, die Hauptkonstruktion bis zur Fertigstellung zu stützen und erlaubte später den Folgegewerken, die Installationen und die Fassadenarbeiten auszuführen. Vor dem Zentralgebäude musste die Straße auch während der gut neunmonatigen Montagephase für den Verkehr befahrbar bleiben. Daher wurde in fast 13 m Höhe eine zusätzliche Plattform als Montagetisch erstellt, von der aus die Monteure arbeiten konnten. Die eigentliche Gitterschale baute man in 13 aufeinanderfolgenden Etappen auf. Zuerst wurden die Schwellenelemente verankert, danach konnte von unten nach oben aufeinander zu gearbeitet werden, um in der Firstlinie in der Mitte zusammenzutreffen. „Wichtig war, dass wir fortlaufende Kontrollen mit dem Tachymeter machten, damit wir gegebenenfalls Aufsummierungen von Differenzen hätten ausgleichen können“, erinnert sich Stefan Bischoff, Montageleiter bei Blumer Lehmann. Auch wenn alles vorher haargenau geplant und berechnet war, blieb die Spannung speziell bei der ersten Etappe hoch – bis die beiden Flanken schließlich millimetergenau aufeinandertrafen.

Referenzen

Biel, Bern, Schweiz (2019)

  • Über diese
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  • Product-ID
    7654
  • Veröffentlicht am:
    10.10.2019
  • Geändert am:
    11.10.2019