Hochwassereinsatzpläne – Erfolgsinstrument zur Schadensminderung
Maßnahmen zur Verringerung der Spitzenabflüsse sowie einer Renovierung bzw. Erweiterung des ortsfesten technischen Hochwasserschutzes sind zwar die entscheidenden Grundlagen - aber auch ein optimiertes Management an der Schnittstelle zwischen Wasserwirtschaft und Katastrophenschutz kann die Schäden bei Hochwasser und die Kosten der Einsätze drastisch und nachhaltig vermindern. Dies zu verbessern ist nicht in erster Linie eine Aufgabe des Katastrophenschutzes oder der Feuerwehren. Diese Organisationen dürfen erwarten, dass ihnen Informationen und Daten in einsatztauglicher Form zur Verfügung gestellt werden
Die Beurteilung der jüngsten Hochwasserereignisse gleichen sich. In vielen Analysen gibt es ähnlich lautende Forderungen bezüglich der Abläufe während des Hochwassers. Eine bessere Koordination auf der Basis aktueller Alarm- und Einsatzpläne wird gefordert. Nach dem Oderhochwasser gab es dieselben Forderungen, der Umsetzung ist man aber noch nicht viel näher gekommen. Diese Forderungen gründen sich zwar auf unterschiedliche Fallbeispiele in verschiedenen Bundesländern, lassen sich aber auf drei wesentliche Kriterien reduzieren:
- überlastete Einsatzleitungen und Fachbehörden,
- komplizierte Kommunikationswege,
- unklare Entscheidungsstrukturen und -grundlagen.
Viele Menschen, die zum Beispiel das Elbehochwasser live und vor Ort erlebt haben, können berichten, dass dort eine einmalige Mischung aus Motivation, Engagement, Wille zur Zusammenarbeit und Mut zu Entscheidungen vorhanden war.
Alle wollten helfen und über die grundlegenden Erfordernisse bestand Einigkeit; auch die Kosten der Einsatzmaßnahmen waren während des Einsatzes nicht das Problem. Woran also liegt es, wenn dennoch nicht das Optimum erreicht wurde ? Drei Ursachen sind dabei wesentlich:
- Es gab von vornherein keine Chance - obwohl alle Abläufe, Entscheidungen und Maßnahmen während des Hochwassers gut verlaufen sind. Alles Mögliche wurde richtig getan, trotzdem war das Hochwasser an vielen Orten übermächtig.
- Die Helfenden bemühten sich zwar, waren aber nicht hinreichend ausgebildet. Dies betrifft beide Bereiche: Feuerwehr und Katastrophenschutz müssen für Hochwassereinsätze besser vorbereitet und geschult werden und mehr von Wasserwirtschaft verstehen lernen. Verwaltung und Wasserwirtschaft sollten in umgekehrter Richtung mehr über Feuerwehrleistungen und Katastrophenschutz lernen. Dies gilt für Mitarbeiter in den Fachbehörden ebenso wie für politische Entscheidungsträger und Behördenleiter. Die Mitarbeit im Stab einer technischen Einsatzleitung will gelernt sein. Ein Amt allein befähigt hier nicht automatisch.
- Wenn alles erfüllt ist, also motivierte, geschulte Helfer ausreichend Mittel und Kräfte einsetzen können, dann fehlt noch ein entscheidendes Instrument: Daten, Informationen und vorher ausgearbeitete Strategien - ein Plan, der es erlaubt, mit der definierten Strategie und mit detaillierten Anwendungshinweisen im entscheidenden Moment das genau Richtige zu tun.
Hochwassereinsätze sind planbar
Je öfter eine Stadt mit Hochwasser konfrontiert wird, desto klarer ist jedem einzelnen bewusst, was zu tun ist. Doch wenn das Hochwasser nur alle 10 Jahre kommt, gibt es Chaos. Im Folgenden wird ein Werkzeug vorgestellt, das den Entscheidungsstress mindert, ein großes Maß an Organisationssicherheit bietet und damit die Hektik im Einsatzgeschehen wesentlich senken kann - ein Werkzeug, das es ermöglicht, Kräfte und Mittel effizient und effektiv einzusetzen. Dafür wird die Fachsprache der Wasserwirtschaft in die Fachsprache der Feuerwehr zu übersetzen sein. Hochwassereinsätze sind von ihrer Struktur her sehr viel besser vorausschauend planbar als z.B. Brandeinsätze. Mit ausreichenden Datengrundlagen ist sehr detailliert zu erkennen, was bei einem bestimmten Wasserstand passiert und welche Maßnahmen dann erforderlich sind. Diese Betrachtung darf aber nicht bei einem bestimmten Hochwasser aufhören, sondern muss bis zum höchst möglichen Hochwasser (Probable Maximum Flood, pmf) reichen. Es ist ein großer Unterschied, ob noch Zeit zur Verfügung steht, um Schutzmaßnahmen zu ergreifen, oder ob die Einsatzkräfte nur noch reagieren können. Auch an den Oberläufen von Gewässern kann die Situation verbessert werden, indem man Vorwarnzeiten ermöglicht. Hierzu müssen die modernen Möglichkeiten der Meteorologie genutzt werden.
Bei Hochwasser besteht z.B. für die Feuerwehren ein großer Unterschied zum Brandeinsatz. Dort sieht man die zu bekämpfende Lage vor sich und kann entsprechend handeln. Rollt eine Hochwasserwelle auf die Einsatzkräfte zu, müssen sie die Lage, die sie bekämpfen sollen, erst erfragen. Hierfür ist aber nicht nur der sich einstellende Wasserstand erforderlich, sondern auch sehr viel mehr Informationen - z.B. welche Bereiche überflutet sind etc. Zudem lässt sich nicht erkennen, welche Maßnahmen z.B. bei einem durchfeuchteten Deich die richtigen sind und wie hoch das Risiko der Schadensausbreitung ist. Hierfür sind in der Regel fundierte Kenntnisse der Hydrologie bzw. Hydrogeologie erforderlich. Es gibt aber z.B. in einem Landkreis nicht genug Wasserwirtschaftler, die bei Einsätzen über mehrere Tage rund um die Uhr an vielen Stellen zur Verfügung stehen können.
Informationen in einsatztauglicher Form
Die Großschadenslage bei einem Waldbrand ist überschaubar: Eine Feuerwehreinheit erhält den Einsatzauftrag - Brandbekämpfung im Abschnitt x, Löschwasserentnahme am y-Teich. Damit kann ein Feuerwehrzugführer seinen Einsatz beginnen. Beim Hochwasser dagegen sind sehr viel präzisere Angaben erforderlich und es werden ebenso Rückmeldungen und fachliche Informationen benötigt. Auch wenn z.B. bereits Schäden an Deichen eingetreten sind, kann der Einheitsführer vor Ort oft nicht selbst entscheiden, welches die geeigneten Gegenmaßnahmen sind. Er braucht hierzu Material, das nicht zur Ausrüstung seiner Fahrzeuge gehört und dessen Verfügbarkeit er nicht kennt und er benötigt Informationen, die man nicht vor Ort sehen kann. Umgekehrt weiß man in der Einsatzleitung nicht, wie viel Material (z.B. Sandsäcke) nötig ist. Dies erfordert einen ständigen Informationsfluss, beständige Rückfragen und somit ein hohes Maß an Kommunikation. Diese Tatsache führt zwangsläufig dazu, dass Einsatzleitungen und Kommunikationswege überlastet sind. Dies lässt sich nur ändern, in dem die Einheiten vor Ort autarker werden. Grundlage hierfür ist natürlich auch, dass die Einheitsführer vor Ort entsprechend ausgebildet sind.
Wesentlich sind aber auch die Informationen, die dem Einheitsführer gegeben werden müssen, damit er in seinem Abschnitt selbstständig die dort erforderlichen Maßnahmen einleiten kann. Man kann ihm Informationen und Daten an die Hand geben, die schon vor dem Hochwasser vorliegen. Dies muss in einsatztauglicher Form erfolgen. Wenn dort verzeichnet ist, dass ab einem Pegelstand von xy Metern ein Sandsackdamm von hier nach dort in einer Höhe von 1,20 m zu errichten ist und hierfür 600 Sandsäcke benötigt werden, kann der Einheitsführer Entsprechendes veranlassen. Wenn derselbe Plan auch der Einsatzleitung vorliegt, weiß man hier, wie viele Sandsäcke vor Ort benötigt werden.
Viele hierfür relevante Daten liegen zum größten Teil vor und müssen nur durch eine feuerwehrtaktische Planung ergänzt werden. Bei verschiedenen Fachbehörden gibt es Daten, die eine Einsatzleitung während eines Einsatzes aber nicht mit der erforderlichen Sorgfalt zusammentragen kann; die benötigte Zeit steht dafür einfach nicht zur Verfügung.
Einsatzpläne für die Feuerwehr
Entscheidend ist die Aufarbeitung von wasserwirtschaftlichen Erkenntnissen und Erfordernissen in konkrete Einsatztaktiken der Feuerwehr. Es gibt sehr viele Daten in der Wasserwirtschaft – aber Planunterlagen über Hochwasserschutz und Gewässer werden von Wasserwirtschaftlern immer nur für Wasserwirtschaftler gemacht. So ist z.B. ein überhöht dargestellter hydraulischer Längsschnitt einer Deichanlage für die Feuerwehren nicht ohne weiteres brauchbar. Prognosen von Pegelständen sind unbrauchbar, wenn es an der Einsatzstelle keine Referenzhöhen gibt. Zwischen Sandsäcken zu nivellieren ist nicht das Optimum, vorher wäre es leichter.
Deiche sind nicht einheitlich hoch und nicht gleich gut gebaut. Es ist wichtig zu wissen, wo die tiefste Stelle der Deichoberkante ist und wo bereits Probleme aufgetreten sind. Diese Informationen müssen so dargestellt und aufbereitet werden, dass auch ein Nicht-Wasserwirtschaftler etwas damit anfangen kann.
Nach mehreren Tagen werden auch die örtlichen Kräfte der Feuerwehren nicht mehr in vollem Umfang zur Verfügung stehen. Für ortsfremde Einsatzkräfte ist es noch viel wichtiger, sich mit Hilfe von Einsatzplänen orientieren zu können
Defizite seitens der Wasserwirtschaft
Leider gibt es bei manchen Wasserwirtschaftlern die Sichtweise, dass oberhalb des Bemessungshochwassers eine Katastrophe eingetreten ist und nichts mehr getan werden kann. Das ist schlicht falsch! Es sollte die Erkenntnis greifen, dass ein einmal gewähltes Bemessungshochwasser auf jeden Fall überschritten werden wird. Wann dies der Fall ist, ist heute noch nicht bekannt. Die Wasserwirtschaft muss den Helfenden erklären, wie die wasserwirtschaftlichen Anlagen reagieren, wenn das Bemessungshochwasser überschritten wird. Hierzu muss es der Wasserwirtschaftler selbst erst einmal wissen - eine Pflichtbetrachtung, die nicht selten übersehen wird.
Bei einer Katastrophenlage müssen Entscheidungen getroffen werden, die vor einem völlig anderen Hintergrund stehen als im normalen Leben, so z.B. die Option auch Werte opfern zu müssen, um größere Schäden zu vermeiden. Es ist statthaft, ein Dorf zu opfern um eine Stadt zu retten. Solche "Grausamkeiten" sind zwingend zu denkende Strategie bei einer Katastrophe und müssen in Hochwassereinsatzpläne einfließen. Diese Entscheidung wird im Einsatzfall zwar von den im Katastrophenschutz Verantwortlichen erfolgen müssen, für die Wasserwirtschaft jedoch sind dies neue Denkhorizonte, mit denen sie sich schon vorher beschäftigen muss, um diese Optionen zu ermöglichen bzw. auszuschließen.
Was muss ein Hochwassereinsatzplan enthalten?
Hochwassereinsatzpläne müssen auch Informationen enthalten, die über rein wasserwirtschaftliche Daten hinausgehen: Informationen über bauliche Infrastrukturen, Ver- und Entsorgungsleitungen und Einrichtungen. So ist z.B. von jedem Kanaldeckel in Deutschland die NN-Höhe bekannt, die sehr hilfreich sein kann, um Referenzhöhen zu übertragen. Auch andere Einrichtungen, die besonders schützenswert sind, müssen enthalten sein, wie z.B. Details aus der Kanalisation, die bei Hochwasser gefährdet sind oder von denen Gefahren ausgehen können.
Auch der letzte Schritt möglicher Schutzmaßnahmen - die Evakuierung - muss detailliert vorgeplant werden. Hierzu sind genaue Geländehöhen unerlässlich, um präzise vorgehen zu können. Spätestens hier wird deutlich, dass die Wasserwirtschaft zwar die Grundlagen für den Plan liefern muss, aber nicht alle Einsatztaktiken entwickeln kann, daher müssen Hochwassereinsatzpläne in enger Zusammenarbeit abgestimmt werden. Der Ersteller von Hochwassereinsatzplänen muss Erfahrungen aus beiden Bereichen - Wasserwirtschaft und Katastrophenschutz - haben.
Hochwassereinsatzpläne müssen enthalten:
- Bestandsdaten und Schwachstellen der vorhandenen Hochwasserschutzanlagen (exakte Höhenangaben, Umfang und Ort bekannter Stellen von Durchfeuchtungen)
- Mögliche Maßnahmen der Deichverteidigung abgestimmt auf die örtlichen Verhältnisse (z.B. Untergrund und Aufbau eines vorhandenen Deiches)
- Angaben über erforderliche Materialien und Kräfte (z.B. von Brücke A bis Punkt B werden 2800 Sandsäcke für einen Pegel von 9,73 gebraucht)
- Angaben über andere Infrastruktur (Kanäle, Befahrbarkeit von Straßen, besondere Gefährdungen in angrenzenden Bereichen)
- Angaben über besonders schutzwürdige Bereiche (z.B. Krankenhäuser, Telefonzentralen, Rechenzentren, Stromversorgung, Abwasserpumpwerke)
- Einsatztaugliche Aufbereitung von hydrologischen Daten, Symbolen und Darstellungen
- Vorschläge für Einsatzmaßnahmen mit entsprechenden taktischen Zeichen aus dem Katastrophenschutz
- Verzeichnis zuständiger Personen, Stellen und Versorgungseinrichtungen (Sandsacklager, Tankstellen), Anfahrtsskizzen, Stadtpläne, die Aufbereitung muss so erfolgen, dass völlig Ortsfremde sich zurechtfinden können.
- Grundlage für diese Pläne ist eine detaillierte wasserwirtschaftliche Betrachtung möglicher Hochwasserereignisse mit Risikostudie und Prozessanalyse möglicher Hochwasserereignisse bis zum pmf – dem "vermutlich maximalem Hochwasser".
Kosten von Hochwassereinsatzplänen
Die Stelle, die für den Hochwasserschutz zuständig ist, muss die Hochwassereinsatzpläne erstellen. Derjenige, der die baulichen Maßnahmen des Hochwasserschutzes finanziert, sollte auch die Einsatzpläne finanzieren. Zum einen sind dort die Fachdaten vorhanden, zum anderen ist der Hochwassereinsatzplan die logische Fortführung und Ergänzung des baulichen Hochwasserschutzes und Rückkopplungen sind erwünscht und erforderlich.
Komplizierte Einsatzlagen verlangen vorausschauende Planungen. Für bauliche Anlagen muss ein Betreiber den Feuerwehren entsprechende Feuerwehrpläne nach DIN 14095 zur Verfügung stellen. Dies hat sich bewährt und wird täglich praktiziert. Es bedarf eines analogen Regelwerkes für das Hochwasser. Auch Hochwassereinsatzpläne sollten für alle Einsatzkräfte nach bundeseinheitlichen Regeln erstellt werden.
Die Kosten sind im Vergleich zum Nutzen beim Hochwasser und den Kosten evtl. Schäden gering. Oft wird übersehen, dass die Kosten für einen Hochwassereinsatz extrem hoch sind. Zwar werden sie zumeist nicht öffentlich bekannt – vieles wird ja freiwillig und ohne Kostenberechnung geleistet. Volkswirtschaftlicher Schaden entsteht allerdings in jedem Fall. Durch Hochwassereinsatzpläne wird bereits der nächste Einsatz wesentlich effektiver. Und die Einsatzkosten sinken drastisch. Schon ein einziges größeres Hochwasser hebt die Kosten für die Erstellung von Einsatzplänen allein durch ersparte Einsatzkosten auf.
Autor: Jörg Lotz
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20.06.2013 - Geändert am:
31.10.2014