Geodätisches Permanent-Monitoring historischer Bauwerke zur Unterstützung von Sanierungskonzepten
Historische Bauten, darunter auch Kirchenbauten, sind Teil des kulturellen, religiösen und gesellschaftlichen Allgemeinguts, deren Erhaltung nicht nur im Eigentümerinteresse, sondern über die Denkmalschutzverordnungen auch im öffentlichen Interesse liegt. Insbesondere beim Auftreten von Bausubstanzschäden, die eine statische Konsolidierung notwendig machen, sind die potenziellen Schäden durch die häufig vorhandenen Schmuck- und Kunstwerke wie Fresken, Deckenornamente etc. beträchtlich und damit auch die zu ergreifenden Schutz- und Sicherungsmaßnahmen meist kostspielig.
Für den Statiker ist eine Beurteilung von Bauwerken aus vergangenen Jahrhunderten oft schwierig. Teilweise sind diese in einem labilen Gleichgewicht errichtet; nicht immer existieren vollständige Pläne, die zudem i. d. R. erst im Rahmen eines modernen Aufmaßes erzeugt worden sind. Die Gebäude wurden oft umgebaut, nach Schäden mit sehr heterogenen und teilweise minderwertigen Baustoffen repariert und auch die Kenntnisse über die Fundamentierung sind meist gering, so dass eine Vielzahl an Sondierungen und Probenentnahmen notwendig ist. Es erweist sich daher als Herausforderung, das statische Gesamtgefüge eines historischen Bauwerks und sein Verhalten bei externen Einflüssen fundiert zu modellieren, so dass für den Bausubstanzerhalt ein wirkungsvoller und gleichzeitig wirtschaftlicher Maßnahmenkatalog abgeleitet werden kann. In diesen Fällen können zusätzliche Informationen durch geodätisches Monitoring an gezielten Stellen hilfreiche Zusatzinformationen liefern.
Das geodätische Monitoring wird dabei als vorbereitendes und begleitendes Messmittel eingesetzt (vgl. Bild 1). Sofern ausreichend zeitlicher Vorlauf möglich ist, wird über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr das Normalverhalten des Gebäudes ermittelt, welches sich i. d. R. aus einem meteorologisch bedingten dominanten reversiblen Jahreszyklus sowie möglichen Trends zusammensetzt. Die Kenntnis über den Jahreszyklus hilft dabei, zum Zeitpunkt konkreter Maßnahmen die jeweiligen Messdaten korrekt interpretieren und Auswirkungen ertüchtigender Eingriffe vom Normalverhalten unterscheiden zu können. Das Aufdecken von Trends dient der Feinsteuerung von statischen Modellen, der Gefährdungsbeurteilung und letztlich der Wahl geeigneter Sanierungsmaßnahmen sowie deren Tauglichkeitsevaluierung.
Grundsätzlich kann geodätisches Monitoring unterschieden werden in absolutes und relatives Monitoring. Für die Bauwerkssanierung relevant sind dabei hauptsächlich relative Bewegungen, d. h. geometrische Änderungen einzelner Bauwerksteile zueinander und/oder relativ zur Lotlinie (Neigungen, Kippungen), während absolute translative (Starrkörper-)Bewegungen des gesamten Bauwerks kaum Schadenspotential bergen. Nur in seltenen Fällen (Anschlussbebauung, instabile Untergrundscholle etc.) ist eine umfangreiche absolute Messung vonnöten. Üblicherweise werden daher entsprechende relative Sensoren im Bauwerk selbst integriert, die in größeren Zeitabständen durch einen außerhalb gelegenen Festpunktrahmen kontrolliert werden. Monitoring-Systeme sind heute in allen Fällen vollständig automatisiert, um ständigen Zugriff auf die Messdaten, flexible Messintervalle, automatische Vorprozessierung und Diagrammerstellung, Fernwartbarkeit und nicht zuletzt automatisierte Benachrichtigungs- und Alarmketten zu jeder beliebigen Uhrzeit zu gewährleisten. Dazu gibt es eine Vielzahl von Software-Lösungen sowohl aus dem Herstellersektor geodätischer Messsensoren als auch aus dem mittelständischen und universitären Bereich, die die Ansteuerung der Sensoren und Datenhaltung und -verarbeitung übernehmen. Einige gebräuchliche Sensoren sollen in der Folge aufgezählt und danach durch Beispiele illustriert werden.
Typische Sensoren
Tachymetrische Systeme
Motorisierte Präzisionstachymeter für den Monitoringbereich erfassen mit retroreflektierenden Prismen ausgestattete Zielpunkte mit einer Standardabweichung von < 1 mm in allen räumlichen Koordinaten (teilweise deutlich besser). Die Anzahl der Zielpunkte ist unbeschränkt und im Arbeitsverlauf jederzeit anpassbar, lediglich eine freie Sichtverbindung muss möglich sein und auch im Rahmen von Bauarbeiten aufrechterhalten werden können (Bild 2). Das Gerät eignet sich damit z. B. in Kirchenbauwerken, in denen eine Vielzahl an Punkten im Hauptschiff überwacht werden soll; ist jedoch in verwinkelten oder mit vielen Säulen versehenen Bauten stark limitiert.
Die Anschaffungskosten sind vergleichsweise hoch (ca. 40.000 € mit Zubehör), erlauben jedoch eine sehr flexible Nutzung und problemlose Weiterverwendbarkeit in anderen Projekten.
Relativstreckenmesser
Sind lediglich die relativen Distanzänderungen zwischen je paarweise zwei Punkten von Interesse, bieten sich als preisgünstige Alternative fest installierte Streckenmesssysteme an. Laserdistanzmesser ("Distos", Bild 3 unten) arbeiten in einem Genauigkeitsbereich von ~ 1 mm bei bis zu 10 Hz und eignen sich durch die berührungs- und zielpunktfreie Antastung auch für größere Deformationsbeträge im cm-Bereich. Höhere Genauigkeiten können mit Drahtmesssystemen (Bild 3 oben) erreicht werden, bei welchen die Spannkraft eines Invardrahts zwischen zwei Ankerpunkten über einen Kraftmessring in eine Distanzänderung umgewandelt wird. Hier sind Genauigkeiten im 1/10 bis 1/00 mm-Bereich und durch die unmittelbare Messung auch mit hoher Frequenz möglich. Da Ablesungen nur im Linearbereich des Kraftmessers durchgeführt werden sollten, ist die Deformationsspanne auf wenige mm beschränkt, kann jedoch jederzeit ohne Ausbau nachjustiert werden. In einem Projekt der LGA Bautechnik GmbH Nürnberg wurden auch schon Seilzug-Wegaufnehmer verwendet [1], die einen größeren Arbeitsbereich bei etwas geringerer Genauigkeit zulassen.
Relativhöhenmesser
Zur Bestimmung von relativen Höhenunterschieden verschiedener Messpunkte eignen sich Schlauchwaagensysteme. Nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren werden relative Flüssigkeitsspiegel mit einer Genauigkeit von bis zu 0,01 mm bestimmt. Die sichere Leitungsführung ist jedoch gerade auf Baustellen häufig problematisch. Für die Bestimmung von Höhenunterschieden zwischen Punkten, die alle von einem Zentralpunkt aus einsehbar sind, eignen sich automatische, motorisierte Nivelliere, die manche Anbieter von Monitoring-Systemen als Sonderfertigungen anbieten.
Neigungssensoren
Aufstrebende Mauerteile und insbesondere Turmbauwerke lassen sich in ihrer relativen Neigung sehr gut mittels Zweiachs-Neigungssensoren überwachen. Die Genauigkeiten liegen hier bei ca. 0,05 mm Seitbewegung/10m Höhe (1") und erlauben auch bei massiven Türmen, geringste Neigungsänderungen nachzuweisen. Anhand des schwingungsinduzierten Ausschlagbildes lassen sich z. B. sogar unterschiedliche Glocken eines Kirchturmgeläutes unterscheiden. Moderne Neigungssensoren sind praktisch wartungsfrei, benötigen für Aussagen im höchsten Genauigkeitsbereich jedoch eine umfassende Laborkalibrierung im Vorfeld. Gerne werden Neigungssensoren in Kombination mit Relativstreckenmessern verwendet, insbesondere bei Deformationen gegenüber liegender Mauern durch Dachstuhlauflast (siehe folgende Beispiele) oder bei unterschiedlichem Bewegungsverhalten von Kirchturm und Hauptschiff.
Weitere Sensorik
In jedem Fall notwendig ist die Erfassung der meteorologischen Umgebungsparameter: zum einen als Interpretationshilfe für die Auswertung, zum anderen aber auch, weil jeder moderne geodätische Sensor (bzw. der Messwert) temperaturkompensiert werden muss. Neben den typisch geodätischen Sensoren ist zudem eine Reihe von geotechnischen und physikalischen Sensoren in den Messablauf integrierbar, wie z. B. digitale Dehnungsmesser, Schwingungssensoren etc. Aktuelle Entwicklungen auf dem Sensormarkt (Videotachymetrie) und neuere Verfahren, die zunehmend in den bautechnischen und geodätischen Fokus rücken (z. B. faseroptische Messsysteme) sind gegenwärtig im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen noch nicht umgesetzt bzw. nicht wirtschaftlich. Die Erfahrung zeigt, dass selbst ein tachymetrisches System, welches zu den am besten beherrschbaren und zuverlässigsten Messmethoden gehört, häufig aus Kostengründen durch eine Kombination mehrerer günstigerer Sensoren ersetzt wird. Der Trend im geodätischen Monitoring geht daher in Richtung einfacher aber günstiger Messsysteme, welche durch entsprechende Kalibrierung und Auswertewissen in ihrem Verwendungsspektrum gesteigert werden.
Praxisbeispiele
In Zusammenarbeit mit dem Büro Bergmann GmbH in Pfaffenhofen (früher Planungsbüro für Umbau und Sanierung) [2] und anderen Stellen wurden und werden einige historische Bauwerke durch das Geodätische Prüflabor der TU München in unterschiedlichen Sensorkombinationen überwacht. Zum Einsatz kommt dabei eine selbst entwickelte Softwarelösung.
Klosterkirche St. Dionys in Schäftlarn
St. Dionys aus dem 18. Jahrhundert ist eine auf weichen und setzungsempfindlichen Böden, die zudem zur nahegelegenen Isar hängend geschichtet sind, gegründete Wandpfeilerkirche mit Tonnen- und Kuppelgewölben. Durch ein herabbrechendes Stück Stuck ausgelöst, ergaben die daraufhin erfolgten Untersuchungen zahlreiche Risse zwischen Gurtbögen und Gewölbe sowie Hohlstellen zwischen Putz und Mauerwerk. Statische Berechnungen ergaben zwar eine Gewährleistung der Standsicherheit, nicht jedoch der Verkehrssicherheit, da sich durch das Lösen der Gewölbe von den Gurten auch weiterhin Deckenteile lösen können.
Zusammen mit den Ertüchtigungsmaßnahmen 2006 wurde ein tachymetrisches Monitoring-System installiert, das neun Messpunkte auf Höhe der Pfeilerbögenauflager und zwei Referenzpunkte im bodennahen Stabilbereich beobachtete. Damit konnten im Rahmen der Instandsetzung die Auswirkungen Erneuerung der Eindachung sowie des Einbaus zusätzlicher Metallkonstruktionen zur Stabilisierung der Gewölbe vom darüber liegenden Dachstuhl aus überprüft werden. Durch das permanente geodätische Monitoring konnte zudem nachgewiesen werden, dass eine im Raum stehende Nachgründung nicht notwendig ist. Die Einsparungen für den Baulastträger liegen im Bereich von ca. 2 Millionen €.
Nach Abschluss aller Arbeiten konnten in einer zweijährigen Nachüberwachung keine signifikanten Bewegungstrends mehr aufgedeckt werden, so dass das Messsystem mittlerweile nach sechs Jahren Betrieb wieder ausgebaut worden ist.
Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Bad Tölz
Bereits in den vergangenen Jahrhunderten zeigten sich bei der Stadtpfarrkirche in Bad Tölz, die zum größten Teil aus dem 15. Jahrhundert stammt, deutliche Risse im Gewölbe. Es wurde immer wieder nachgebessert, zuletzt 1976 mit einer Spritzbetonschale für das Chorgewölbe. Nachdem sich Anfang des Jahrtausends wieder zahlreiche Gewölberippen gelöst hatten, ergaben geodätische Messungen im Kontext der Voruntersuchungen Hinweise auf ein Gründungsproblem, welches durch geologische Aufschlüsse bestätigt wurde. Tragfähige und setzungsempfindliche Schichten wechseln sich in Bad Tölz ab, so dass sich nahezu alle sichtbaren Verformungen tatsächlich auf die Heterogenität des Untergrunds zurückführen ließen. Im Rahmen der notwendigen Nachgründung durch Verdichtungsinjektionen wurden im Vorfeld auch geodätische Konvergenzmessdrähte quer zum Hauptschiff eingebaut, um die Bewegungen des Bauwerks vor und während der Arbeiten zu überwachen (Bild 4). Gestützt durch zusätzliche Nivellements konnten so die geometrischen Auswirkungen auf die gewölbetragenden Pfeiler (Konvergenzen bzw. Höhenänderungen im Bereich mehrere mm) bestimmt und der Nachweis der darauf folgenden Stagnationsphase (3 Jahre Folgemessungen) erbracht werden.
Aula des Kurfürst-Maximilian-Gymnasium in Burghausen [3]
In Burghausen befindet sich die große Aula des Kurfürst-Maximilian-Gymnasiums im oberen Stockwerk eines ehemaligen Jesuitenkollegs. Unter der Auflast eines am darüber liegenden Dachstuhl aufgehängten Gewölbes hatten sich bis 2009 die Traufwände um bis zu 15 cm aus der Vertikalen geneigt, so dass der Dachstuhl nach unten zu sacken drohte. Bei zusätzlichem starken Windangriff an dem im Flusstal der Salzach befindlichen Bauwerk bestand unmittelbar eine Gefährdung der Standsicherheit. Im Rahmen einer Notfallmaßnahme, bei der die gegenüberliegenden Mauern durch Zugbänder verspannt werden sollten, sollte ein Monitoringsystem integriert werden, das mit hoher Frequenz (sekündlich) die relative Lage der Mauern zueinander bestimmt. Realisiert wurde diese Aufgabe durch fünf Laserdistanzmesser in gleichen Abständen entlang der Längsachse, die zusätzlich durch einen zentralen Neigungssensor für eine der Mauern gestützt werden. Damit waren sowohl eine Echtzeit-Überwachung als kurzfristige Reaktion auf Sturmwarnungen möglich als auch die Datengrundlage zur Interpretation der Sicherungsmaßnahme gegeben.
Geodätische Sensorik zum Dauermonitoring bietet heute ein einfach und flexibel nutzbares Instrumentarium, Arbeitsabläufe gerade bei Erhaltungsmaßnahmen zu optimieren, zu überwachen und zu verifizieren. Der Vorteil gegenüber periodisch durchgeführten Messungen liegt in der kontinuierlichen Verfügbarkeit von Daten, die es auch erlauben, plötzlich auftretende Ereignisse zu erfassen und angemessen zu reagieren. Zum Einsatz kommen automatisierbare Standardinstrumente und -verfahren der geodätischen Praxis, die eine hohe Zuverlässigkeit und ein gut bekanntes Genauigkeitspotenzial aufweisen und individuell auf die jeweilige für den Bauingenieur relevante Fragestellung skaliert werden können. Geeignete Softwarelösungen haben alle namhaften Hersteller geodätischer Sensoren im Portfolio; häufig stellen aber auch individuelle Lösungen mittelständischer Ingenieurbüros oder Universitäten eine geeignetere und kostengünstigere Alternative dar.
Literatur
- Barthel, Rainer; Maus, Helmut; Jagfeld, Matthias; Kayser, Christian: Untersuchungen und Instandsetzung des Langhaus-Regelquerschnitts am Hohen Dom zu Augsburg. Unterlagen des Lehrstuhls für Tragwerksplanung der TUM, Denkmalpflege und Instandsetzung, WS 09/10.
- Büro Bergmann GmbH: Bautechnische und statische Einzelheiten zu den Projekten durch persönliche Informationen und auch nachlesbar unter www.buero-bergmann.com.
- Ingenieurbüro Schermer GmbH: Persönliche Informationen und www.ib-schermer.de
- Über diese
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6194 - Veröffentlicht am:
04.04.2013 - Geändert am:
03.03.2020