Bürgerhaus Lohfelden: Flexibilität in Schall und Raum
Das in den 1970er Jahren errichtete Bürgerhaus der Stadt Lohfelden in Nordhessen setzte mit seiner markant polygonalen Architektur einst Maßstäbe: Im Zuge einer umfassenden Sanierung sollten der inzwischen nicht mehr zeitgemäße Ausbaustil des Veranstaltungszentrums modernisiert und gleichzeitig die Raumakustik deutlich verbessert werden. Den trockenen Innenausbau sowie die Umsetzung des entwickelten Akustikkonzeptes übernahm die Okel GmbH & Co. KG aus Diemelstadt – mit Produkten von Saint-Gobain Rigips.
Ein vorab vom Ingenieurbüro ib/K erstelltes Gutachten motivierte die Bauherren, einen Schwerpunkt der Modernisierungsmaßnahmen auf eine bessere Raumakustik insbesondere in den drei Veranstaltungssälen zu legen: Der große Bürgersaal, der mit zwei kleineren Sälen verbunden und dadurch erweitert werden kann, wird für Bürgerversammlungen, Vorträge, Seminare, Feiern und Theateraufführungen, aber zunehmend auch für Konzerte genutzt. ib/K-Geschäftsführer, Dipl.-Ing. Ralph Kettenis, sah vor allem hierfür erhebliche Verbesserungspotenziale: "Für Seminare oder Bürgerversammlungen ergaben unsere Messungen eine befriedigende akustische Qualität. Eine Qualität, die jedoch schon bei Theateraufführungen aufgrund mangelnder Sprachverständlichkeit an ihre Grenzen stieß. Für konzertante
Musikdarbietungen war der Saal in seiner alten Form vollkommen ungeeignet. Die Nachhallzeiten waren zu kurz, durch die starke Raumbedämpfung war der Klang sehr trocken und unschön. Kammermusikvorträge und Gesang wurden darüber hinaus als zu leise wahrgenommen und zwischen den harten Wandflächen konnten Flatterechos entstehen." Der Bauherr entschied sich deshalb für die Investition in das vorgeschlagene Akustikkonzept. Sein Kernstück stellt ein variables Akustiksystem dar, mit dem u. a. die Nachhallzeit in allen drei Sälen per Knopfdruck auf die jeweilige Nutzungsart hin angepasst werden kann. Der Einbau eines variablen Akustiksystems ermöglichte es, wichtige Schallkomponenten wie die Nachhallzeit, das Verhältnis zwischen den früh und spät beim Hörer eintreffenden Schallanteilen sowie die Schallreflexionswege und die Lautstärke eines Sprechers, Musikers oder Orchesters zu beeinflussen.
Schalldurchlässige Pyramiden
Für ein Maximum an Flexibilität und Regelbarkeit der Raumakustik sorgt ein ebenso effektives wie innovatives Deckensystem. Sichtbar ist zunächst lediglich ein Raster aus rhombenförmigen Pyramiden, die mit einer milchglasähnlich lichtdurchlässigen Membran bespannt wurden, die ihrerseits akustisch zu 98 % transparent ist. Dieser sichtbare Teil der Deckenkonstruktion setzt gestalterische Elemente des Saals in dem Pyramidenraster fort und verbirgt Komponenten der szenischen Beleuchtung. Die einzelnen Deckenfelder können nach Bedarf motorisch geöffnet werden, so dass die Beleuchtungstechnik nur bei entsprechender Nutzung sichtbar wird.
Stufenlos verstellbare Drehflügel
Akustisch wirksam ist erst die "sägezahnförmige" Unterdecke aus Gipsplattenelementen vor einem mit Mineralfaser bedämpften Hohlraum: Während die zur Saalrückwand orientierten Gipsplatten in dieser Unterdecke starr befestigt sind, sind die zur Bühne gerichteten Elemente drehbar gelagert und können mittels eines mit einem Elektromotor gesteuerten Antriebs verschiedene Öffnungsgrade annehmen. Insbesondere bei geringer Öffnung der Drehflügel wirkt die Decke so als großer Kasten-Resonator, der vor allem die tiefen Frequenzen absorbiert, ohne die Höhen zu überdämpfen. Dadurch findet eine günstige Angleichung und Verkürzung der Nachhallzeitlänge auf allen Frequenzen statt. Um möglichst lange Nachhallzeiten zu erreichen,werden die Drehklappen vollständig geschlossen. In alle Kanten
der Festelemente arbeitete das Team Profildichtungen ein, die einen wirklich luftdichten Anschluss an die Drehflügel garantieren.
Patentiertes Klappdeckensystem
Dieses Klappdeckensystem wurde zuvor für ein Konzerttheater-Projekt von den Architekten Ulrich Bock und Meinhard Neuhaus zusammen mit Ralph Kettenis entwickelt und patentiert. Für die komplexe Deckensituationen im Bürgerhaus Lohfelden entwarf der Architekt Henry Koch in enger Abstimmung mit Okel eine individuelle Lösung. Die gesamte Konstruktion wurde dahingehend verändert, dass alle tragenden Unterkonstruktionen der Kasten-Resonatoren mit besonders leistungsfähigen Trockenbaumaterialien realisiert werden konnten. So erhieltendie Gefache – die später die jeweils ca. 50 kg schweren, drehbaren Deckenelemente aufnahmen – mit der Rigips-Schallschutzplatte "Die Blaue" bekleidete Leimbinder, so dass die Achsbohrungen für die Drehlageraufnahmen der Deckenflügel vor Ort
mittels Laserhilfen präzise gebohrt werden konnten. Die Deckenflügel selbst wurden in der Werkstatt weitestgehend vorgefertigt. Auch die Flügel profitieren, beidseitig mit 12,5 mm beplankt, von den hervorragenden Schallschutzeigenschaften der "Blauen". Nach der Montage erhielten die Elemente abschließend einen dunklen Farbanstrich.
Die insgesamt 76 Drehflügel (Abmessungen 2380 mm × 800 mm) können mechanisch stufenlos gekippt werden, wobei jede Achse, bestehend aus drei Flügelreihen, getrennt ansteuerbar ist. Die Bedienung der Flügel erfolgt über ein Touch-Screen-Element im Regieraum: Mittels Symbolen, die die gewünschte Veranstaltungsform
repräsentieren, können die einmal eingemessenen und abgespeicherten Flügelstellungen bedienerfreundlich, schnell und exakt abgerufen werden. Das akustische "Gesicht" des Raumes ändert sich so in wenigen Sekunden.
Das Zusammenspiel ist entscheidend
Die Wandflächen bilden ebenfalls einen wichtigen Bestandteil bei der Nachhallzeitenregulierung. Die Massivwände wurden im Sockelbereich mit glatten und ab einer Höhe von 1500 mm mit gelochten Rigiton-Gipsplatten bekleidet. Alle Hohlräume dahinter wurden mit Mineralfaser gedämmt. Eine feinkörnige Akustikbeschichtung erzeugt über beide Plattentypen hinweg eine homogene Oberfläche. Die Wandbekleidungen sind für sich genommen nicht akustisch flexibel. Ihr Absorptionsverhalten kann jedoch durch die mobilen Trennwände zwischen dem großen und den zwei kleineren Sälen reguliert werden. Diese bestehen aus drehbaren Einzelelementen mit einer absorbierenden und einer reflektierenden Seite, die je nach Bedarf vor die Rückwände der kleinen Säle geschoben werden.
Deckensegel über der Bühne
Unter der geneigten Dachfläche über der Bühne wurden zusätzlich drei Schallsegel mit einer Breite von jeweils 1300 mm in unterschiedlichen Längen (6350 mm, 7500 mm und 9150 mm) montiert. Die Schallreflektoren erstellte das Ausbauteam aus verschweißten Stahlprofilen, die zuvor in der Werkstatt maschinell vorgebogen wurden. Die Beplankung erfolgte mit glatten Gipsplatten. Absorbierende und reflektierende Vorhänge vor den Fenstern und auf der Bühne, die auf Wunsch vollständig
geöffnet werden können, komplettieren das flexible Raumakustikkonzept.
In den beiden kleinen Sälen, die bei separater Nutzung vor allem für Sprachveranstaltungen genutzt werden und daher kürzerer Nachhallzeiten bedürfen, wurden in Teilbereichen Abhangdecken eingezogen. Diese bestehen wie die Wandbekleidungen aus im Wechsel gelochten Rigiton-Platten und ungelochten Rigips-Platten
mit einer durchgängigen Akustikbeschichtung.
Bautafel - Bürgerhaus Lohfelden
Bauherr: | Gemeinde Lohfelden |
Planung: | Arbeitsgemeinschaft Peter Spöth + Henry Koch, Kassel (förderraum architekten + planer) |
Akustikkonzept/Messungen: | ib/K Ingenieurbüro für Bauphysik Kettenis, Aachen |
Trockenbau: | Okel GmbH & Co. KG, Diemelstadt |
Fachberater Trockenbausysteme: | Henning Häusler, Saint-Gobain Rigips GmbH |
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4285 - Veröffentlicht am:
30.04.2012 - Geändert am:
03.03.2020