BIM – die neue Art zu bauen
Gerhard von Rile war, wie alle Baumeister des Mittelalters und der frühen Neuzeit, ein Generalist, ein universell einsetzbarer Baufachmann, der alle Fäden in der Hand hielt. Als erster Baumeister des Kölner Doms ab 1248 hatte er eine unvorstellbar komplexe Aufgabe zu erfüllen. – Weltweit zeugen seit der Antike entstandene Arenen, Kirchen, Tempel und Pyramiden noch heute vom Können und den Visionen dieser frühen Bau-Manager. Die Bauwerke entstanden allerdings unter einem personellen und zeitlichen Aufwand, der heutzutage Projektleitern, Geldgebern und nicht selten Politikern den Schweiß auf die Stirn treiben würde ...
Heutige Großprojekte sind im Vergleich dazu noch weitaus komplizierter. Sie vereinen eine Vielzahl von Gewerken, die die Baumeister des Mittelalters nicht berücksichtigen mussten. Auch bestehen sie aus vielen verschiedenen Materialien und müssen nicht zuletzt strenge gesetzliche Auflagen erfüllen. Um dabei den Überblick zu behalten, setzt die Bauindustrie heute auf BIM-Software. Doch wie verändert diese neue Methode die Art und Weise, wie bei einem Bauprojekt geplant, konstruiert, organisiert und zusammengearbeitet wird?
Von der Blaupause über CAD zur 3D-Software
An der Arbeitsweise der Baumeister änderte sich lange Zeit nur wenig. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden mit der Technisierung und der Entwicklung des Automobils auch Baumaschinen und viele weitere motorgetriebene Hilfsmittel entwickelt. Weltbekannte Bauwerke wie der Eiffelturm und das Empire State Building zeugen vom ersten großen Modernisierungsschub der Bauindustrie. Mit dem Siegeszug der Computertechnologie ab den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ersetzten nach und nach zweidimensional arbeitende CAD-Systeme die klassischen Blaupausen. Doch noch immer befriedigten aufwendige perspektivische Ansichten und Modelle aus Holz das Bedürfnis nach einer greifbaren Vorschau auf das geplante Bauwerk.
Mit den Fortschritten der Informationstechnologie wurde es bald möglich, 3D-Abbildungen darzustellen und zu bearbeiten. Doch das reine, punktuelle Ersetzen von 2D-Werkzeugen durch 3D-Software verbesserte den Arbeitsablauf kaum und verschaffte den 3D-Tools anfangs sogar einen schlechten Ruf. Denn noch immer planten und konstruierten die einzelnen Gewerke weitgehend unabhängig voneinander und die Kompatibilität mit anderen Leistungsphasen blieb von untergeordneter Bedeutung.
Sinnvoll ist 3D nur in Kombination mit der parametrischen Modellierung, bei der die einzelnen Bauteile logisch miteinander verknüpft sind. Durch die Integration der funktionalen Abhängigkeiten der einzelnen Bauteile und weiterer Informationen wird das Gebäude vollständig im virtuellen Raum abgebildet.
Auch der Austausch zwischen einzelnen BIM-Systemen ist mittlerweile kein Problem mehr. Über Schnittstellen können Modelldaten, möglichst mit ihrer Attribuierung, ausgetauscht werden. Das am weitesten entwickelte Format ist wahrscheinlich das IFC-Format (Industry Foundation Classes), das von allen weltweit führenden Softwarehäusern unterstützt wird. So können disziplinübergreifend Modelldaten gebündelt werden und sinnlose Doppeleingaben entfallen zunehmend.
Die eigentliche Revolution
Dies ist die eigentliche Revolution in der Bauindustrie: die Verbindung aus dreidimensionaler und parametrischer Modellierung mit dem Austausch zwischen allen Fachgebieten. Nur hier kann man von der BIM-Methode sprechen, bei der die Bauwerke mit allen zugehörigen Informationen als ein einziges, vollständiges Modell erstellt werden.
BIM ist mittlerweile in der Bauindustrie angekommen. Große Baufirmen und Konsortien, die alle oder einen Großteil der Leistungsphasen verantworten, sind oft Vorreiter. Sie sind einigermaßen unabhängig von anderen Firmen und können relativ einfach verfügbare modellbasierte Konstruktions-, Simulations- und Visualisierungssysteme in ihren Arbeitsprozess einbinden. Vorbilder sind aber auch andere Länder wie Großbritannien, wo ab 2016 alle öffentlichen Bauprojekte gemäß nationaler BIM-Standards durchgeführt werden müssen. Eine Arbeitsgruppe im britischen Ministerium für Unternehmen, Innovation und Qualifikationen regelt die Implementierung. In Deutschland ist nun seit 2013 die Arbeitsgruppe BIM in der Reformkommission des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) damit beauftragt, Vorschläge zu einer nationalen BIM-Strategie auszuarbeiten. Mitglieder sind Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Bauindustrie, aber auch von führenden Verbänden wie dem VDI und buildingSMART.
Neue Strukturierung
Auch wenn die BIM-Methode das Potential bietet, Bauprojekte effizienter, schneller und ressourcenschonender abzuwickeln, gehen mit dieser neuen Herangehensweise viele Herausforderungen für die Bauindustrie einher. Denn letztendlich bedeutet das konsequente Arbeiten mit BIM, dass der komplette Prozess der Planung und Produktion neu strukturiert werden muss, um die vielzitierte Optimierung des Bauablaufs zu erreichen. Das beginnt mit der Überlegung, wann der richtige Zeitpunkt ist, die jeweiligen Informationen in das Gebäudemodell zu integrieren. Schließlich werden die unterschiedlichen Datensätze nur noch einmal erstellt und sind ab diesem Zeitpunkt über den gesamten Lebenszyklus ständiger Bestandteil des Modells. Ebenso wichtig ist, wer nun die richtige Person ist, die diese Daten erzeugen soll.
Denn idealerweise wird das BIM-Modell bereits in der Angebotsphase verwendet anstatt sich hier auf die klassischen Excel-Listen zu verlassen. Auch verschiedene Ausführungsvarianten können im Modell durchgerechnet werden. Ist der Auftrag gewonnen, kann das ausgewählte Modell aus der Angebotsphase weiter entwickelt werden. Der Planungsvorlauf wird durch diese Vorgehensweise zwar unter Umständen etwas länger dauern als mit anderen Methoden. Dieser Zeitverlust wird aber im Verlauf des Projektes wieder wettgemacht, da durch die detaillierte, parametrische Planung Fehler im Entwurf reduziert und Fehlproduktionen eliminiert werden.
Zur Beschleunigung des Bauprozesses trägt ebenso bei, dass Vermessungsdaten des Geländes und bereits bestehender Strukturen in das BIM-Modell integriert werden können, um eine möglichst präzise Grundlage für die Planung und Konstruktion zu schaffen. Zusätzlich ist es möglich, beispielsweise mit der BIM-Software Tekla Structures und den Messgeräten von Trimble, die Daten im Modell mit den tatsächlichen Strukturen auf der Baustelle abzugleichen und so den Baufortschritt zu überwachen.
Die konsequente Weiterentwicklung von BIM
Eine sorgfältige Planung nach der BIM-Methode erlaubt es auch, mehr Elemente des Bauwerks vorzuproduzieren. So müssen die einzelnen Baugruppen auf der Baustelle nur noch zusammengefügt werden. Auch dies spart Zeit in der Bauphase. Andere Bauteile können nach dem Just-in-time-Prinzip angeliefert werden, da sich im BIM-Modell auch der Bauablauf bis ins kleinste Detail simulieren lässt. Dies reduziert den benötigten Platz für die Bauteile vor Ort und auch den Aufwand, der nötig ist, um die Lagerung zu organisieren.
Auch für die Arbeiter auf der Baustelle und in den Werken verändert sich einiges, da mit der Zeit die klassischen Papierzeichnungen wegfallen. Bereits jetzt bieten viele Softwarehersteller neben den Vollversionen der BIM-Software auch kostenlose BIM-Viewer. Mit dieser Software können alle Beteiligten stets über Computer, Tablet oder Smartphone auf den aktuellsten Stand des Gebäudemodells zugreifen und ihren speziellen Arbeitsbereich anzeigen lassen. Der genaue Funktionsumfang variiert von Hersteller zu Hersteller – Tekla BIMsight beispielsweise ermöglicht unter anderem auch die Zuweisung von Aufgaben an einzelne Teammitglieder oder die Kommentierung von Bauteilen direkt im Modell.
Verfügt das Modell über eine schlanke Datenbankgröße, so ist auch das Arbeiten in der Cloud kein Problem. Dann kann jeder, sei es über den Computer im Baustellenwagen oder das Tablet direkt vor Ort, immer auf die neuesten Informationen und das aktuellste Modell zugreifen. Zurzeit ist die Entwicklung hin zur Cloud in vollem Gang und letztendlich ist das die konsequente Weiterentwicklung von BIM: das intelligente Gebäudemodell, das jederzeit, von jedem Ort und für jeden Beteiligten erreichbar ist.
Geänderte und neue Berufsbilder
Natürlich bedeutet die Umstellung auf BIM eine tiefgreifende, vielleicht manchmal überwältigende Veränderung für die Bauindustrie. Sie beinhaltet sowohl die Umstrukturierung von Arbeitsprozessen als auch die Integration der neuesten Informationstechnologie wie Cloud Computing und mobile Endgeräte.
Logischerweise werden sich dadurch auch bisherige Berufsbilder ändern und neue entstehen. Der klassische Bauzeichner beispielsweise, der als verlängerter Arm des Bauingenieurs dessen Rechen- und Planungsergebnisse auf Papier oder in eine 2D-Zeichnung überträgt, wird sein Aufgabenspektrum erweitern und zum Beispiel auch Aufgaben eines Bautechnikers übernehmen. Bisherige Zeichentätigkeiten werden künftig mehr und mehr entfallen, da parametrische Systeme detaillierte Ausführungspläne auf Knopfdruck jederzeit und immer aktuell zur Verfügung stellen können.
Auch den Unternehmen wird einiges abverlangt. Möglicherweise müssen Abteilungen oder ganze Unternehmensbereiche neu strukturiert werden. Es sind auch Investitionen notwendig und Unternehmer müssen während der Umstellungsphase eventuell mit einem kurzfristigen Einschnitt in die Produktivität rechnen. Dies ist jedoch ein kalkulierbares unternehmerisches Risiko, um das Unternehmen für die Zukunft richtig aufzustellen. Auch die kleinen Unternehmen werden über kurz oder lang auf BIM umsteigen müssen, wenn sie mit der Entwicklung Schritt halten möchten. Daher stehen wir vor einer erneuten Konsolidierung der Bauindustrie. Doch die Bereitschaft der Industrie, diesen Wandel zu realisieren, ist da und die Bauindustrie wird gestärkt daraus hervorgehen: schlussendlich wird das Bauen mit BIM qualitativ hochwertiger, schneller, kostengünstiger und besser kalkulierbar.
Dietmar Bernert, Leiter BIM-Strategie bei Tekla Deutschland
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11.12.2013 - Geändert am:
03.09.2014