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Allgemeine Informationen

Baubeginn: 2008
Fertigstellung: November 2013
Status: in Nutzung

Bauweise / Bautyp

Funktion / Nutzung: Flughafenterminal
Baustoff: Dach:
Stahlbauwerk / -konstruktion
Konstruktion: Dach:
Fachwerkträger

Preise und Auszeichnungen

2015 Einreichung  

Lage / Ort

Lage: , ,
Adresse: Bao'an
Koordinaten: 22° 37' 42.13" N    113° 48' 28.05" E
Koordinaten auf einer Karte anzeigen

Technische Daten

Abmessungen

Länge 1.6 km
Bruttogeschossfläche (BGF) 450 000 m²

Baustoffe

Fassade Aluminium
Gebäudekonstruktion Stahl

Chronologie

2008

Baubeginn

November 2013

Fertigstellung

Tragwerk und Fassade des Shenzhen Bao’an International Airport Terminal 3

Der Neubau des Terminal 3 des Shenzhen Bao’an International Airport basiert auf dem erfolgreichen Wettbewerbsbeitrags der Architekten Massimiliano und Doriana Fuksas, Rom unterstützt von den Stuttgarter Ingenieurteam um Jan Knippers und Thorsten Helbig aus Stuttgart.

Auf einer durch die Flughafengesellschaft vorgegebenen Gebäudeorganisation und Grundrissstruktur wurde eine frei geformte Terminalform entwickelt, die durch eine zweilagige, perforierte Hüllstruktur einen differenziert gesteuerten Tageslichteinfall ermöglicht. Die Gesamtfläche des Projekts beträgt ca. 400.000m² und erstreckt sich einschließlich des angebundenen Verkehrszentrums über eine Gesamtlänge von circa 1.500 Meter. Der Neubau des Terminal 3 mit den Maßen L × B × H = 1251 × 642 × 43 Meter ersetzt den bestehenden Flughafen vollständig und weist eine Kapazität von 24 Millionen Passagieren pro Jahr auf. In weiteren Ausbaustufen soll die Kapazität auf 45 Millionen Passagiere bis 2035 ausgebaut werden.

Markantes Merkmal der frei geformten Gebäudestruktur ist die perforierte Fassadenhülle, die gezielt abwechselnde Tageslichtsituationen im Concourse generiert. Die fast 300.000 Quadratmeter große, frei geformte Hüllfläche besteht aus zwei Fassadenebenen mit jeweils circa 25.000 hexagonalen Öffnungen. Bereitswährend Wettbewerbs, der zwischen acht international besetzten Architekten- und Ingenieurteams ausgetragen wurde, ist das Konzept eines zweilagigen Raumfachwerks aus Stahlhohlprofilen entwickelt worden, das über den Abstand der Gurtlagen statisch effizient auf die jeweiligen Stützweiten und geometrischen Randbedingungen der architektonisch gesetzten Form der Terminalhalle und der Concourses reagiert. So ist das das leicht geschwungene Dach der 642 Meter breiten Eingangshalle als zweiachsig spannender Fachwerkträgerrost mit Gurtabständen von maximal 4,5 Meter konzipiert. Die Vertikallasten im orthogonal ausgerichteten System werden zwischen den im Abstand von 36 Metern angeordneten Stützen in zwei Richtungen abgetragen. Wie bei einem Tisch sind die Stützen biegesteif in das Dachtragwerk eingebunden und stehen gelenkig auf der Geschossebene auf. In die sich zum Fußpunkt konisch verjüngenden Stützen ist auch das das Entwässerungssystem der circa 50.000 Quadratmeter großen Dachfläche des Terminaldachs integriert.

Die bogenförmigen Dachkonstruktionen des ‚main concourse‘ (Länge ca. 750 Meter) und der ‚cross concourses (Gesamtlänge ca. 600 Meter) spannen 43 Metern stützenfrei und bauchen seitlich bis zu 65 Meter aus. Am Kreuzungspunkt zu den auf halber Länge quer abzweigenden Cross-Concourses weitet sich die Halle zu einer circa 80 Meter weiten ‚Piazza‘ auf. Im Verschneidungsbereich unterstützen baumartige Stützstrukturen die Bogenträger. Die horizontalen Auflagerkomponenten werden durch Zugstäbe in der Fußpunktebene kurzgeschlossen.

Um für die architektonisch gesetzte, hexagonale Fassadenperforierung ein effizientes, zwischen die äußere und innere Hülle eingepasstes Tragwerk für den Concourse zu entwickeln, wurden zahlreiche Varianten untersucht. Eine den Öffnungen entsprechende, diagonale Ausrichtung des Tragwerks stellt für sich allein keine günstige Lösung dar, weil sie nicht dem direkten Lastpfad zwischen den Auflagerlinien folgt. Diese Funktion übernehmen die im Abstand von 18 Metern angeordneten Hauptbögen, die als „Zwillingsträger“ ausgebildet sind. Durch die Teilung eines mittig in der Öffnung verlaufenden breiten Einzelbinders in zwei, in die Randbereiche der hexagonalen Öffnung verschobene schlanke Trägerhälften wird die Durchsicht durch die Fenster verbessert. Die im Regelabstand von 18 Meter angeordneten Zwillingsträger bestehen aus zusammengesetzten Rechteckhohlprofilen, deren Wandstärken im Hinblick auf die lokalen Beanspruchungen optimiert sind. Am Auflagerpunkt werden diese zu einem großformatigen Gussteil zusammengeführt. Durch die hohe Wiederholzahl lässt sich der hohe Aufwand für die Gussformen auf viele Teile umlegen und ist somit wirtschaftlicher als eine aus Einzelblechen zusammengesetzte und verschweißte Lösung. Zum Zeitpunkt ihrer Herstellung gehörten diese zu den größten bis dahin in China gefertigten Gussteilen.

Seitens des Bauherren und der von staatlichen Stellen eingesetzten ‚Expertenkommission‘ wurde hohes Augenmerk nicht nur auf die Umsetzbarkeit der vorgeschlagenen Lösungen im Kontext chinesischer Normung und Baupraxis gerichtet, sondern auch auf das Konstruktionsgewicht der konzipierten Raumfachwerklösung. Aufgrund der Erfahrung mit dem enorm hohen Stahlverbrauch für die Dachkonstruktionen der Sportbauten für die Olympiade waren Sonderkonstruktionen im Verdacht, a priori unwirtschaftlich zu sein. Zur Minimierung des Materialverbrauchs wurden die Gurtlagenabstände im Abgleich mit den architektonischen Intensionen weitgehend entsprechend der lokalen Biegemomentenbeanspruchung angepasst. Eine weitere Profiloptimierung konnte durch die iterativ durchgeführten Querschnittsabstufungen im parametrischen Generierungsprozess erzielt werden.

Die Segmentierung der 1251 Meter langen Dachstruktur stellt eine besondere tragwerksplanerische Herausforderung dar. Das Stahltragwerk weist gegenüber dem Betonbau größere temperaturbedingte Längenänderungen auf. Um gegenseitige Zwängungen zu minimieren, wurde eine spezielle Lagerungsstrategie entwickelt werden. Hierbei waren zwei gegenläufige Optimierungsstrategien in Einklang zu bringen: Zum einen sollte eine möglichst unbehinderte Längsausdehnung der Stahlstruktur infolge Temperaturdehnung möglich sein. Dafür ist eine längsfreie, gleitende Lagerung des Tragwerksabschnitts ausgehend von einem zentralen Festpunkt am besten geeignet. Zum anderen müssen bei hohen Horizontalbeschleunigungen in Längsrichtung, wie sie bei einem Erdbeben auftreten können, die resultierenden Kräfte auf möglichst viele Horizontallager verteilt werden, um hohe lokale Lastspitzen zu vermeiden. Es wurden daher in Concourse-Längsrichtung ‚gefederte‘ Lager vorgesehen. Die Federn sind so eingestellt, dass den thermisch bedingten Längsausdehnungen nur ein geringer Widerstand entgegenwirkt, im Falle starker Horizontalbeschleunigung durch Erdbeben jedoch ein eine nahezu gleichmäßige Verteilung der Auflagerkräfte erreicht wird. Die dafür erforderlichen, unterschiedlich kalibrierten, degressiv eingestellten Federkennlinien werden mit Tellerfedern realisiert, die beiderseits des Lagerpunktes angeordnet sind.

Neben dem klassischen ‚design process‘, bei dem wir von der Tragwerkskonzeption bis hin zur Entwicklung und Ausführung des Lagerdetails in einer engen Zusammenarbeit mit dem Architekten Struktur und Fassade entworfen und realisiert haben, war jedoch das ‚process design‘ der Schlüssel für die Umsetzung des relativ großen und komplexen Terminalprojekts in nur fünfeinhalb Jahren von Wettbewerb bis Fertigstellung.

Die gemeinsame, parametrisch basierte Datenplattform wurde von Knippers Helbig entwickelt, im Zuge der Planung verfeinert und die Ausgangsdaten für die Ausführung übergeben. Das eigens entwickelte Script setzt auf den durch die Architekten entwickelten, frei geformten Hüllflächen im vorgegebenen Achsabstand Referenzpunkte der Panelelemente ab. Innerhalb der dadurch definierten Zelle legt dann ein geometrisch basierter Algorithmus alle weiteren Eckpunkte der Systemachsen für die transparenten und opaken Panelsegmente fest. Zwischen den Referenzpunkten der äußeren und inneren Hüllflächen ergibt sich aus den programmierten geometrischen Bezügen das dazwischen liegende räumliche Tragwerk. Das Script ist somit in der Lage, basierend auf vorgegebenen Hüllflächenmodellen die vollständige Geometrie der Systemachsen des Tragwerks mit circa 200.000 Einzelstäben und der aus 60.000 Elementen bestehenden Fassade zu entwickeln.

Der Bao’an Flughafen ist damit das bislang größte Bauprojekt, das auf Basis eines parametrisch basierten Modells entwickelt und gebaut wurde. Für das Planen und Bauen der Zukunft ergeben sich durch diesen Ansatz grundsätzlich neue Möglichkeiten. Es können nicht nur bislang nicht denkbare geometrisch komplexe Strukturen und Fassaden geplant werden. Im parametrisch organisierten Gesamtmodell können statische, bauphysikalische und energetische Aspekte so verknüpft werden, dass der Algorithmus nur Lösungen zulässt, die im angestrebten Lösungsraum aller betrachteten Kenndaten liegt. Der Entwurfsprozess ist dann nicht mehr eine sukzessive Bearbeitung einzelner entwurfsbestimmender Faktoren sondern eine Verknüpfung der Teilaspekte in einer simultanen und multikriteriellen Optimierung. Die parametrisch basierte Planungsmethode birgt das Potential für einen Paradigmenwechsel für die Rolle des Ingenieurs und aller Beteiligten im Planungsprozess in sich.

Die Ingenieure haben es selbst in der Hand, ob sie aktiv das ‚process design‘ mit entwickeln, gestalten und ausfüllen oder das Feld anderen überlassen.

Erläuterungsbericht von Knippers Helbig Advanced Engineering zur Einreichung beim Ulrich Finsterwalder Ingenieurbaupreis 2015

Autor: Thorsten Helbig

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  • Über diese
    Datenseite
  • Structure-ID
    20066223
  • Veröffentlicht am:
    29.05.2014
  • Geändert am:
    29.04.2021
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